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1.1 Alinas Unfall

  ?Alina, Aufseher Balt m?chte dich sprechen?, sagte ihr Schie?lehrer.

  Sie entspannte die Sehne ihres Bogens und starrte auf die drei Pfeile, die sie eben geschossen hatte. Alle drei hatten nur die ?u?eren Ringe getroffen. Schon wieder.

  ?Jetzt??, fragte sie und r?usperte sich, um das Zittern in ihrer Stimme zu überdecken. Niemand wurde von Balt in sein Arbeitszimmer gebeten. Au?er wenn ein W?chterlehrling Schwierigkeiten machte.

  Die Augen ihres Lehrers streiften den Strohballen mit ihren Pfeilen, dann kehrten sie zurück zu ihrem Gesicht. Seine Lippen formten sich z?gernd zu einem L?cheln. ?Du kannst mir deine Waffen geben. Ich r?ume sie für dich weg.?

  Alina unterdrückte ein Seufzen und gab ihm den Bogen und ihren K?cher. Die anderen M?dchen auf dem Schie?platz starrten sie neugierig an, als sie mitten im Unterricht an ihnen vorbei aus dem Schie?feld lief. Sie folgte dem Sandweg, der durch die vielen übungspl?tze der Lehrlinge führte. Vorbei an den jungen Frauen und M?nnern, die zu W?chtern ausgebildet wurden. W?chtern die ihr Land H?hental beschützten. Auf ihrem Weg kam sie an einem der Schwertkampfpl?tze vorbei.

  Als sie an einem der Sandpl?tze vorbeilief, wo der Umgang mit Schwertern geübt wurde, blieb Alina stehen und beobachtete die zwei jungen M?nner, die sich gerade mit Holzschwertern bek?mpften. Einer davon, der mit funkelnden Augen und heftigen Hieben sich auf seinen Gegner stürzte, war ihr Zwillingsbruder Aiven.

  ?Aiven! Benutze deinen Kopf! Wirf dich nicht zügellos auf deine Gegner!?, rief der Lehrer laut.

  Am Zaun standen ihre Cousine Tessa mit den anderen Lehrlingen aus der Elitegruppe. W?hrend die Augen der anderen voller Bewunderung weit aufgerissen waren, beobachteten Tessas blaue Augen den Kampf ohne auch nur eine Gefühlsregung zu verraten.

  Die Gruppe bestand aus zwanzig Lehrlingen, alle au?ergew?hnlich talentiert. Sie durften bereits die anderen W?chter im Einsatz an der Landesgrenze begleiten. Dort wo die Schluchten besonders stark bewacht werden mussten. Aiven und Tessa hatten bereits mit eigenen Augen einen Drachenangriff miterlebt.

  Hastig schritt Alina über den Sandweg der zum goldgelben Haupthaus führte, in dem sich neben den Schlafs?le, die Krankenzimmer und der Speisesaal für die Lehrlinge, auch die Arbeitszimmer der Aufseher über sie befanden. Das Haupthaus war das gr??te im W?chterdorf, doch neben seiner Gr??e, deuteten nur die Türen auf die Wichtigkeit des Geb?udes. Die goldenen Türklingen waren schwingende Federn und ein Relief des Wappentiers ihrer Heimat H?hental, der Feuervogel, waren im Holz der Türen abgebildet. Riesige V?gel, mit langen H?lsen und vier Beinen.

  Alina drückte gegen die gro?e Eingangstür und trat ein. Sie starrte die abgenutzte Treppe an, die nicht weit vor ihr stand. Erst als eine junge W?chterin mit hastigen Schritten an ihr vorbeilief, schaffte sie es mit zitternden Beinen auf die Treppe zuzugehen. Ihr Blick war verschwommen, doch sie schaffte es, die Stufen zum dritten Stock zu nehmen, ohne dass ihr eine Tr?ne entschlüpfte. Hoffentlich würde sie ihren Platz nicht verlieren. Hoffentlich wurde sie nicht aus dem W?chterdorf herausgeworfen.

  Vor der Tür des Aufsehers über die Lehrlinge hielt sie an und atmete tief durch. Dann griff sie nach der beflügelten Türklinke, klopfte und trat ein.

  ?Ich bin Alina. Ihr wolltet mich sprechen.? Der Klang ihrer eigenen Stimme stach in ihren Ohren.

  Ein Mann mit einem braunen Bart und strengen Augenbrauen sah kurz von den Papieren auf, die er betrachtete. Ohne zu L?cheln, wies er auf den Stuhl vor sich.

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  Alina hatte Aufseher Balt nur einmal gesehen, am ersten Tag ihrer Ausbildung. Er war verantwortlich für alle neuen Rekruten der W?chter, in den drei Jahren ihrer Ausbildung.

  Der Raum war lang. Und dank der Regale und Schr?nke, die links und rechts an den W?nden standen, auch noch eng. Bücher, Hefte und Papierberge quollen aus ihnen heraus.

  Das Fenster wurde von einem Papierhaufen auf der Kommode hinter dem Stuhl des Aufsehers zur H?lfte verdeckt, sodass das Tageslicht nur ged?mpft hereindrang und der Raum düster wirkte.

  Alina setzte sich und presste die H?nde aneinander. Ihre Fingern?gel bohrten sich so fest in ihre Handfl?chen hinein, dass es stach.

  ?Alina Rappenfeld. Ich m?chte mit dir über deine Zukunft hier im W?chterdorf sprechen.?

  Ihr Gegenüber hatte immer noch nicht von seinem Papier aufgesehen. Er hielt es leicht erh?ht, sodass Alina nicht lesen konnte, was geschrieben stand. Ihr Herz klopfte laut. Sie hatte es geahnt.

  Aufseher Balt seufzte. ?Ich will gleich auf den Punkt kommen. Deine Leistungen sind schwach. Was eine überraschung ist, da dein Zwillingsbruder einer der besten Lehrlinge deines Jahrgangs ist. Zusammen mit deiner Cousine Tessa.? Die Art wie er ihren Bruder betonte, traf Alina so heftig wie ein Schlag ins Gesicht.

  Ihr Gegenüber legte das Papier zur Seite und holte eine Rolle hervor. Er breitete eine Karte H?hentals vor ihr aus. Eine flache Hochebene aus rostbraunem Gestein. Im Nordosten trennte eine lange Bergkette die streng bewachte Grenze das Land von dem verbotenen Osten. Die südwestliche Grenze begann mit der Hochebene in die mehrere lange, mal breite und mal schmale, Schluchten einschnitten. Dort waren die vierundzwanzig Wachtürme eingezeichnet. Dort sollte Alina eines Tages als W?chterin ihr Land beschützen. Falls sie es jemals durch ihre Ausbildung schaffte.

  ?Was ist die wichtigste Aufgabe der W?chter??, fragte der Aufseher.

  ?über H?hental zu wachen und es mit unserem Leben zu beschützen.?

  ?Und vor was??

  ?Vor allem, was den Frieden, das Glück, die Ordnung und die Gerechtigkeit des Landes gef?hrdet?, sagte Alina auswendig.

  Der Aufseher starrte sie für einen Moment an. Dann streiften seine Finger über die Karte. ?Mir scheint es, dass dir das entweder nicht klar ist, oder du einfach nicht für den Posten eines W?chters geeignet bist.?

  Er seufzte wieder. ?Alina, du bist nicht ohne Talente. Du hast es geschafft den wildesten Feuervogel H?hentals zu z?hmen. Nun ist sie die Schnellste und der Stolz unseres W?chterdorfs. Au?erdem kannst du ausgezeichnet mit Pferden umgehen und ich habe geh?rt, dass du dich sogar mit einigen Feuerfalken angefreundet hast. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dich hier in der W?chterstadt gebrauchen k?nnen. Allerdings nicht als W?chterin. Wir brauchen immer gute Tierabrichter.?

  Alina presste ihre Lippen zusammen. Bei der Vorstellung, etwas anderes als Aiven zu machen, schnürte sich ihre Kehle zu. Das wollte sie nicht. Es ging nicht. Sie hatte bis jetzt ihr ganzes Leben mit ihm verbracht.

  ?Bitte gebt mir noch eine M?glichkeit, mich zu beweisen. Falls ich es nicht schaffe, gehe ich zu den Tierabrichtern.? Alina nahm all ihren Mut zusammen und blickte direkt in das strenge Gesicht des Aufsehers.

  Er runzelte die Stirn und sein Finger tippte auf eine der Schluchten, die auf der Karte dargestellt war. ?Ich brauche jemanden für die Nachtwache. üblicherweise, schicken wir dort immer ein paar Lehrlinge hin, da dort bis jetzt nur wenig Angriffe stattgefunden haben.?

  Alina betrachtete die Stelle. Es war die vierundzwanzigste Schlucht. Niemand wollte dorthin. Man nannte sie die Gosse, weil dort das Abwasser aus dem W?chterdorf und der Hauptstadt aus der Hochebene hinaus floss. Au?er Ratten und anderes Ungeziefer, wurde dort selten etwas Gef?hrliches gesichtet.

  ?Einige Drachen haben sich in den letzten Monaten in diese Schlucht hineingewagt. Drei oder vier. Doch wie wurden sehr schnell von dem Geruch und den Feuerv?geln abgeschreckt. Trotzdem k?nnen wir den Posten nicht mehr leichtnehmen. Nimm Tessa und Aiven mit. Sie waren bereits im Einsatz und wissen, wie man die Drachen schnell vertreiben kann. Ich will auch, dass ihr auch darauf achtet, dass keine Aasfresser durch den Wachtposten dringen. Sollte der Bericht deiner Verwandten über dich befriedigend sein, darfst du weiter als Lehrling hierbleiben.?

  Egal, ob Drachen gesichtet worden waren oder nicht, dieser Wachposten wurde nur den W?chtern gegeben, die zu ungeschickt waren, um woanders eingeteilt zu werden. Und sie hatte zwei der besten Lehrlinge mit sich in die Gosse heruntergezogen.

  Mit enger Brust stand sie auf, verabschiedete sich und verlie? den Raum.

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