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11.2 Elyons Entdeckung

  Elyon rümpfte die Nase, als sie den Fleischspie? betrachtete, den Lenius ihr gerade in die Hand gedrückt hatte.

  ?Warum isst du dein Fleisch eigentlich immer roh??, fragte Alina, die ebenfalls einen Spie? bekommen hatte.

  Sie war an diesem Morgen wieder als Mensch aufgewacht und war zusammen mit Lenius, Gilwa und Elyon in die n?chste Stadt geflogen, um einzukaufen.

  Statt ihr zu antworten, biss Elyon in ihren Spie? hinein und zog sich die Kapuze tiefer über die Stirn. Alina r?usperte sich verlegen. Als Elyon ihr einen Seitenblick zu warf, waren ihre Wangen tiefrot. Das passierte fast jedesmal, wenn Alina von ihr keine Antwort bekam. Sie seufzte schwer, biss angewidert von dem durchgekochtem Fleisch ab.

  ?Bin so aufgewachsen. Musste oft rohes Fleisch essen?, erz?hlte sie mit vollem Mund. Sofort hellte sich Alinas Gesicht auf. Dabei entging ihr, dass sich ihr Umhang etwas ge?ffnet hatte und ihre Knie zu sehen waren.

  ?Vorsicht. Umhang.?

  Alina zog das braune Tuch enger um ihre Knie, um die Hosen, die sie trug, zu verbergen. Da sie langes, welliges Haar hatte und deutlich weiter um ihre Büste war als Elyon, konnten sie Alina schlecht als Jungen ausgeben. Deswegen musste sie ihre Hosen, die Frauen im Kaiserreich nicht trugen, mit einem Umhang verbergen.

  W?hrend Elyon weiter ihr Mittagessen hinunterwürgte, wartete sie auf Lenius, der mit Gilwa losgezogen war, um Waffen einzukaufen. Als sie fertig war und den Spie? wegwarf, waren die zwei immer noch nicht zurück. Elyon stellte sich mitten auf dem Marktplatz und hielt nach ihnen Ausschau. Von überall schallten die lauten Stimmen der H?ndler auf sie ein. Die Sicht auf die bunten St?nde und die Ware war verdeckt durch die Massen an Menschen, die sich darum tummelten. Elyons Herz wummerte in ihrem Brustkorb. Sie l?ste sich von dem Anblick der vielen Menschen und ging zurück zu Alina, die auf einer Bank sa?. Hoffentlich kam Lenius bald zurück.

  ?Seht her! Meine Damen, meine Herren! Ich habe ein so seltenes Gut anzubieten, das kann sich keiner entgehen lassen! Echtes Drachenblut!?, schrie eine besonders durchdringende, m?nnliche Stimme.

  Alina sah mit entsetztem Blick von ihrem Essen auf. Elyon drehte sich um und suchte nach dem Besitzer der Stimme. Schr?g gegenüber, hinter einem Stand, vor dem sich jetzt erst die Kauflustigen sammelten, stand ein dünner Mann mit einem schwarzen Vollbart. Sein kleiner Stand passte gerade noch so zwischen einen Obst- und einen Kr?uterh?ndler. Der Dünne hielt eine winzige, blaue Glasflasche in der Hand.

  ?Seht selbst her! Das wirksamste Heilmittel in ganz Rovisland!?

  Elyon trat vorsichtig n?her. Jetzt hatte sich bereits eine gro?e Schar von Leuten um ihn herum gesammelt. Elyon dr?ngte sich, dicht gefolgt von Alina, durch die Schaulustigen, bis sie den Verk?ufer sehen konnten. Der schwarzhaarige Mann setzte die Flasche auf den Tisch, nahm ein Messer und schnitt sich in die Handfl?che. Er zeigte der Menge die blutende Wunde. Dann nahm er die Flasche, lie? ein Tropfen auf seine Handfl?che fallen, verteilte es auf die Wunde und hielt sie wieder den Zuschauern hin.

  Mehrere Augenblicke vergingen. Nichts passierte. Dann stimmte die Menge ein Raunen an. Die Wunde trocknete vor den Augen aller aus. Ein wenig sp?ter, wuchs die Haut über den Schnitt, als w?re er niemals da gewesen.

  Ein lauteres Raunen. Alle fingen an aufgeregt miteinander zu reden. Die etwas reicheren Marktbesucher begannen bereits nach Preisen zu fragen.

  Ein leises Wimmern schreckte Elyon auf. Lenius stand neben Alina und hinter ihm Gilwa, der sich ver?ngstigt gegen den dunkelblonden Mann drückte.

  ?Ganz ruhig bleiben. Alles ist gut, mein Kleiner.? Lenius legte eine Hand auf den kleinen Kopf.

  Alina sah mit blasser Nase auf die Flaschen. Elyon vermutete, dass ungef?hr 100 Stück auf dem Tisch standen. Und hinter dem Tisch lagerten fünf weitere Holzkisten. In der Art wie Lenius' blaue Augen vor Wut flackerte, ahnte Elyon, wie der Mann an das Blut herangekommen war. Irgendwo, musste der H?ndler seinen eigenen Drachen halten, den er wie eine Kuh ausmolk. Ein Schauer fuhr über ihre Arme, als sie daran dachte, dass er wahrscheinlich nicht der einzige Drachenbluth?ndler im Reich war.

  ?K?nnen wir helfen??, fragte Gilwa leise.

  ?Ich wei? es nicht. Wir müssten ihn suchen, aber wir müssen noch einkaufen gehen?, antwortete Lenius.

  Elyon wandte sich von dem Mann ab und bahnte sich einen Weg aus der Menge. ?Folgen?, raunte Elyon, als die anderen aufgeholt hatten. Sie bog in die n?chste Seitenstra?e zu ihrer Linken ein und wartete, bis keine Menschen mehr an ihnen vorbeiliefen. Dann zog sie sich an das niedrigste Fensterbrett, das sie finden konnte hoch und kletterte hinauf auf das Hausdach. Alina folgte ihr. Lenius und Gilwa brauchten nur einen Sprung, um ihnen zu folgen. Neidisch beobachtete Elyon sie dabei, wie sie, leicht wie Federn, auf dem Dach landeten.

  ?Warum wird Drachenblut verkauft?? Elyon zeigte in Richtung des H?ndlers, dessen Stimme immer noch zu h?ren war. Sie wusste, dass es nicht erlaubt war, ohne eine Genehmigung des Kaisers, Drachen zu halten, denn der offizielle Befehl lautete, dass alle Drachen get?tet werden mussten.

  ?Drachen werden im ganzen Kaiserreich gejagt und gefangen gehalten, damit man ihr Blut melken kann. Das wird dann schlie?lich von Schwarzh?ndlern verkauft?, erkl?rte Lenius.

  Gilwa wimmerte neben ihm. Sein Blick entfernte sich, als würde der Kleine etwas vor sich sehen. Etwas Schreckliches. Elyon schluckte und wandte den Blick ab, als eine Erinnerung zurückkam, die bei Elyon die gleichen Gefühle hervorrief, die sie in Gilwas Gesicht sah. Für einen kurzen Moment, spürte sie wieder die Peitsche ihres Vaters auf ihren Rücken. Wie sie tiefe Furchen hineinschlugen, deren Narben bis heute schmerzten, wenn sie sich auf den Rücken legte.

  ?Gilwa, alles ist gut. Denk nicht mehr daran. Du bist sicher. Ich lasse nicht zu, dass sie dich wieder einfangen.? Er drückte den Jungen enger an sich und erkl?rte weiter. ?Eigentlich ist es verboten, ohne die Erlaubnis des Kaisers Drachen zu halten. Aber da Drachenblut sehr viel Geld einbringt, tauchen immer wieder Schwarzh?ndler auf.?

  ?Drachen finden. Befreien.? Elyon ignorierte die überraschten Blicke der anderen. ?Warten, bis H?ndler fertig ist, dann verfolgen. Ihr w?hrenddessen einkaufen.?

  Gilwa zog an ihrem Pelzumhang. ?Du solltest nicht alleine gehen. Es ist sehr gef?hrlich.?

  Elyon legte eine Hand auf seinen Kopf und zerzauste sanft die weichen Haare.

  ?Bin gef?hrlicher.?

  ?Der H?ndler sollte noch bis zu den n?chsten zwei Glockenschl?gen dort stehen, mindestens. Wenn du hier wartest und ihn beobachtest, gehen wir drei einkaufen. Dann komme ich hier her zurück, nachdem ich Alina und Gilwa in Sicherheit gebracht habe, und wir verfolgen ihn.?

  Elyon nickte. Lenius war ein f?higer K?mpfer und mit seinen Drachenkr?ften, denen er sich selbst in seiner menschlichen Form bedienen konnte, von gro?em Nutzen.

  Alinas Augen waren vor Furcht weit aufgerissen. Sie ?ffnete ihren Mund, wie um etwas zu sagen, doch Lenius und Gilwa standen auf, ehe sie ein Wort herausbrachte.

  ?Verzeih' mir, aber ich werde dich tragen, so geht es schneller.?

  Alina sah ihn gerade fragend an, als er sie bereits aufhob, um dann mit ihr wieder hinunter auf die Stra?e zu springen, als keine Leute in Sicht waren. Elyon lief dabei bereits über die D?cher, um n?her an den Stand zu kommen und den H?ndler dort ungest?rt zu beobachten.

  –

  Als Lenius sich zu Elyon aufs Dach gesellte, verkaufte der H?ndler gerade seine letzten Flaschen. Der Markt war noch lange nicht vorbei.

  ?Vielen Dank für die Gesch?fte, meine wehrten Damen und Herren, aber für heute bin ich leider ausverkauft!?, rief der H?ndler und begann seine Sachen zu packen. Zum Schluss nahm der Mann die Schatulle mit seinem Gewinn an sich und verlie? seinen Stand.

  Elyon und Lenius folgte ihm über die Hausd?cher. Nachdem er für einige Zeit nur der Hauptstra?e gefolgt war, bog der H?ndler rechts in eine Nebenstra?e ein. In dieser befanden sich weniger L?den und mehr Wohnh?user, doch es liefen noch genug Menschen herum, dass Elyon sich bemühte so leise wie m?glich über die D?cher zu schleichen. Dafür waren Lenius' Schritte, selbst mit ihrem guten Geh?r, kaum zu vernehmen. Elyon schob es für sp?ter auf, ihn auf seine Kr?fte anzusprechen und inwieweit er sie als Mensch nutzen konnte.

  Die Stra?e bog leicht nach rechts und die Wohnh?user wichen gro?en, h?lzernen Lagerr?umen. Hier waren nur M?nner zu sehen, die auf ihren Schultern und Rücken, oder in riesigen Karren, ihre Güter trugen. Holz, Pelze, Ton, Lebensmittel. Alles war vertreten.

  Der schwarzhaarige H?ndler überquerte gerade einen Hof auf der anderen Stra?enseite, dann verschwand er durch eine gro?e Holztür eines Lagerhauses. Die Tür war gro? genug, um einen Drachen in Alinas Gr??e durchzukriegen. Das Schloss schnappte so laut zu, dass sie es selbst vom Dach aus h?rten.

  ?Auf anderes Dach klettern.? Elyon zeigte auf das Flachdach des Lagers, dann tippte sie auf ihr Ohrl?ppchen. ?Drachengeh?r??

  Lenius nickte. Sie beobachteten die Stra?e und als niemand zu sehen war, sprang Lenius, w?hrend er Elyon an den Schultern festhielt, hinunter auf die Stra?e. Danach liefen sie schnell über den Hof und als sie das Ende erreichten, hielt Lenius wieder Elyons Schultern fest und sprang mit ihr auf das Lagerhaus. Oben angekommen, drückte er sein Ohr an das Dach und horchte.

  ?Jemand geht gerade Richtung Tür.?

  Beide krochen zum Dachrand hin. Der H?ndler kam herausmarschiert, schloss die Tür hinter sich ab und verlie? dann den Hof.

  ?Noch jemand im Lager??, fragte Elyon.

  ?Ich kann nichts h?ren.?

  Sie wartete einen Augenblick ab, bis der Mann ganz aus ihrem Blickfeld verschwunden war, um schlie?lich mit Hilfe der Fensterb?nke und Regenrinnen die h?lzerne Wand des Lagers hinunterzuklettern. Als sie vor der gro?en Tür stand, zog sie einen Dietrich aus ihrem Stiefel heraus und betrachtete das Schloss.

  ?Sag blo?, du kannst auch Schl?sser knacken??

  Elyon bewies kurz danach mit einem lauten Knacken des Schlosses. Sie drückte die Tür ein wenig auf und horchte. Nichts als Stille. Vorsichtig schob sie die Tür weiter auf. Direkt vor ihnen führte eine Holztreppe hinunter ins Lager.

  ?Lass mich vorgehen?, sagte Lenius.

  Elyon zog ihn wieder zurück und schüttelte eisern den Kopf. Bevor er noch weiter protestieren konnte, schlich sie bereits die Treppen hinunter. Vorsichtig sp?hte sie um die Ecke der Holzwand, als sie die unterste Stufte erreichte. Niemand schien im Raum zu sein. Doch dann bewegte sich etwas, und das leichte Klirren von Metall, zog Elyons Aufmerksamkeit auf sich. Mitten im Raum lag ein Drache, kaum gr??er als Alina, mit so vielen Ketten umschlungen, dass man nur noch seinen Kopf und seine Schwanzspitze sehen konnte. Und hinter ihm, an der Wand lag ein noch kleinerer Drache, mit offenen, trüben Augen. Eine leblose Zunge hing aus seinem Maul heraus. Tot. Elyon schluckte.

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  Der angekettete Drache regte sich nicht mehr. Nur das schwache Heben und Senken der Ketten um seinen K?rper deuteten an, dass er noch am Leben war. Auf der linken Seite des riesigen Lagers, waren Holzkisten aufeinander gestapelt. An der rechten Wand standen ein paar Tische mit Werkzeug. Leise schlich sie zu dem angeketteten Drachen hin und berührte mit sanfter Hand seinen Kopf. Seine Lider zitterten. Nur mühsam ?ffneten sich die dunkelblauen Augen.

  ?Kannst du mich verstehen??, fragte sie leise.

  Der graue Drache winselte. Hinter ihr knarzten die Treppen leise, Elyon sah erschrocken zurück, doch es war nur Lenius. Sie ignorierte ihn und versuchte ein paar der Ketten wegzuschieben, um den Drachen nach Verletzungen abzusuchen. Sein Fell war so sehr von Blut durchtr?nkt, dass es schwer war, die Schnitte zu finden.

  ?Leben sie noch??, fragte Lenius. Er stand einige Schritte entfernt, als würde er sich nicht trauen n?her zu kommen.

  ?Dieser. Sehr schwach. Anderer, tot.? Elyon entdeckte die ersten Schnitte in der Bauchgegend. Und es wurden immer mehr.

  Lenius kniete sich vor den Drachen hin und legte eine Hand auf seinen Kopf.

  Der Drache winselte, doch es war so leise, dass es wie eher ein Keuchen klang. Elyon sog scharf Luft ein, als sie seine Hinterbeine abtastete. Eins fehlte.

  ?Bein abgeschnitten.?

  ?Bastard!?, rief Lenius leise. ?Damit er nicht fliehen kann. Und seine Flughaut ist wahrscheinlich auch abgeschnitten worden. Es dauert, bis sie verheilt und bis dahin, k?nnen wir uns vor Schmerzen kaum bei Bewusstsein halten.?

  ?Kann nicht verwandeln??, fragte Elyon.

  ?Nicht in seinem Zustand. Er ist zu schwach. Und wahrscheinlich wurde er geschlagen, jedesmal wenn er es versucht hat, sodass er sich gar nicht mehr traut. Das war bei Gilwa auch so.?

  Elyon stieg, mit stechender Brust, über den Schwanz des regungslosen Drachens und suchte die Ketten nach dem Schloss ab. Sie fand es zwischen den Schultern des jungen Drachens. Lenius gab ihm etwas Wasser von seinem Schlauch, w?hrend Elyon das Schloss aufknackte. Danach begann sie mit Lenius' Hilfe die Ketten von seinem K?rper zu streifen. Als sie fertig waren, versuchte der Drache seinen Kopf zu heben, doch er fiel ersch?pft zurück. Elyon seufzte. Sie hatte keine Kr?uter dabei, um ihn wiederzubeleben.

  Da fiel ihr Blick auf die Holzkisten. Die gleichen wie am Stand. Mit schnellen Schritten erreichte Elyon die erste Kiste, ?ffnete eine mit Hilfe eines Messers, dass sie aus ihrem Stiefel zog und fand was sie erhofft hatte. Kleine, blaue Glasflaschen. Sie ?ffnete eine und lie? ein paar Tropfen auf ihren Handrücken fallen. Es hatte eine dunkle, fast schwarze Farbe. Die Flüssigkeit war viel dünner als Blut und roch leicht nach Rost, gemischt mit dem scharfen Geruch von Kr?utern. Auch wenn es verdünnt war, hoffte Elyon, dass es helfen würde.

  ?Lenius. Kisten zum Drachen ziehen. Blut einfl??en und auf Wunden geben.?

  Mit seinen Drachenkr?ften trug er gleich drei der gro?en Holzkisten auf einmal zu dem Drachen hin.

  ?Was wenn der H?ndler wieder kommt??, fragte Lenius atemlos, w?hrend er Elyon dabei half, die Flaschen zu ?ffnen.

  ?Drachenohren spitzen. Wenn was h?rt, Bescheid sagen. Ich kümmere mich.?

  W?hrend sie dem Drachen sein eigenes Blut einfl??te, kümmerte Lenius sich um die Wunden.

  Als sie eine Kiste geleert hatten, begann der Drache sich zu regen. Zuerst zuckte er mit den Ohren, dann ?ffnete er die Augen und starrte verwirrt um sich.

  ?Keine Angst, wir sind hier um zu helfen.?

  Der Drache zog sich mit Mühe auf die Beine.

  ?Kannst du dich verwandeln??, fragte Lenius.

  Der Drache machte einen Buckel und presste die Augen zusammen. Dann l?ste er keuchend seinen K?rper und schüttelte den Kopf. Seine Lider flatterten vor Ersch?pfung.

  Lenius begann, ihm noch mehr Blut einzugeben.

  Elyon überlie? ihm den Rest der Arbeit und ging auf den toten Drachen zu. Mit schnellen Handgriffen tastete sie den Kadaver ab. Er war erst diesen Nachmittag gestorben. Sie sollte ihn eigentlich links liegen lassen. Doch ihre Finger juckten vor Neugier. Sie hatte so viel gelernt, als sie damals mit den ?rzten die auf der Burg ihres Vaters forschten, Tierkadaver seziert hatte. Sie konnte es nicht sein lassen. Vielleicht konnte sie so das Geheimnis dieses Fluchs aufdecken.

  Viel Zeit hatten sie nicht mehr, denn der H?ndler würde noch heute den Kadaver loswerden müssen. Sie zog das neue Kurzschwert, dass Lenius ihr soeben gegeben hatte, aus der Scheide und versuchte entlang der Wirbels?ule zu schneiden, bis ihr einfiel, dass dieses Schwert eine normale Klinge hatte. Nur Drachen und Feuerv?gel konnten die Haut durchdringen.

  Statt es weiter zu versuchen, packte sie das Schwert zurück in die Scheide und stieg sie über den toten Drachen, um zu seinen Vorderbeinen zu gelangen. Es dauerte etwas, bis sie die Gelenkknorpel zwischen Vorder- und Unterbein mit viel Drehen und Wenden voneinander gel?st hatte. Zum Glück war dieser Drache kleiner als Gilwa. Als es knackte, lie? sie von dem linken Bein ab und benutzte die Kralle der rechten Pfote um einen Schnitt in das gebrochene Glied zu machen. Sobald die Haut aufgeschnitten war, riss sie leicht und Elyon zog mühelos die Knochen des Vorderbeins heraus, nachdem sie mit dem Schwert die Sehnen und Muskeln getrennt hatte.

  ?Elora! Was um alles in der Welt machst du da?!?, zischte Lenius entsetzt. Hinter ihm stand nun ein Junge, etwas ?lter als Gilwa, zusammengekauert auf dem Boden. Er legte dem Kleinen gerade seinen Umhang auf den Schultern. ?Wir müssen hier weg! Sofort!?

  Elyon ignorierte ihn und kehrte mit der Pfote zurück zum Rücken. Mithilfe einer Kralle konnte sie nun endlich die dicke Haut aufschneiden.

  ?Elora! Wir müssen gehen! Warum schneidest du an dem Drachen rum??

  ?Geh, warte auf Dach.? Elyon erreichte gerade die Mitte des Rückens, als die Kralle h?ngen blieb. Sie zog an dem Fell, um die obere H?lfte aufzuklappen.

  Lenius würgte leise, dann h?rte Elyon rasche Schritte, die die Treppen hinauf eilten. Sie zog weiter an der oberen Haut und klemmte ein Messer in die ?ffnung hinein. Als sie ein paar Muskeln zur Seite schob, tauchte ein menschlicher Fu? aus der blutroten Masse heraus. Elyon hielt die Luft an. Starrte ungl?ubig auf den kleinen Fu?, der unter einer dicken, elastischen Haut lag. Z?gernd richtete sie die Kralle auf die Muskeln, um mit etwas Drücken und Schieben den Rücken ganz aufzuschneiden.

  Sie schluckte mehrmals, ehe sie sich traute den Kadaver aufzuklappen. Direkt unter der schlangen?hnlichen Wirbels?ule, in einem dünnen Hautsack, lag ein totes M?dchen. Elyon sprang von dem Kadaver weg, da h?rte sie ein lautes Stampfen über ihr. Es kam vom Dach. Lenius. Als n?chstes, h?rte sie einen lauten Türschlag über den Treppen.

  Elyon huschte schnell zu den Holzkisten und verbarg sich hinter der Gr??ten.

  ?Wer ist da?!?, rief der H?ndler hinunter ins Lager.

  ?Was geht hier vor sich? Wo ist mein Drache?!?, schrie der H?ndler, als er unten war und stampfte auf die am Boden liegenden Ketten zu. Elyons blutverschmierte Hand lag auf das Kurzschwert. Bereit zuzustechen. Die Ketten klirrten, dann fielen sie mit einem lauten Schlag zu Boden.

  ?Was ist mit dem Kadaver passiert? Welcher Witzbold hat das getan? Raus mit dir, wo auch immer du dich versteckst!? Der Mann hatte kaum seinen Kopf in ihre Richtung gedreht, als Elyon hinter der Kiste hervorsprang, auf ihn zu lief und ihre Klinge in seine Brust rammte. Fast sofort, fiel der Mann in sich zusammen. Schnell l?ste sie die Klinge aus dem leblosen K?rper und lie? ihn nach hinten fallen. Dann wischte Elyon die Klinge an seinem Hemd ab. Im selben Augenblick, tauchte Lenius am Fu? der Treppen auf.

  ?Elora!? Er blieb wie angewurzelt stehen, als er den toten Mann sah. Seine Kinnlade klappte herunter. Elyon schnitt ein Stück vom Saum des Hemdes, an dem sie gerade ihr Schwert abgewischt hatte, ab um damit das Blut auf ihrem Gesicht zu entfernen. Lenius schnappte mehrmals nach Luft, ohne ein Wort herauszubringen. Sie warf das Stück Stoff zu Boden und lief an ihm vorbei die Treppen hinauf.

  ?Gehen. Schnell!?

  Als sie hinaus an die frische Luft trat, stieg ihr der Geruch von Blut in die Nase. Ihre H?nde waren immer noch rot verschmiert, doch Elyon ignorierte es und konzentrierte sich darauf, die Wand des Lagers zu erklimmen. Sie zog sich gerade am Dachrand hoch, als Lenius neben ihr aufs Dach sprang.

  ?Was um Himmelswillen ist falsch mit dir?!?, zischte Lenius leise. ?Was, was ... Ah! Ich wei? gar nicht wo ich anfangen soll! Dir h?tte was passieren k?nnen! Und schau dich an! Du siehst aus, als k?mest du direkt aus dem Schlachthof! Wir k?nnen nicht einfach in fremde Lager eindringen und ihre Besitzer ermorden!?

  Elyon starrte auf ihren Pelzumhang. Er war mit Blut vollgeschmiert. Sie h?tte ihn abnehmen müssen und auf dem Dach liegen lassen. Jetzt würde es ewig dauern, bis sie das ganze Blut wieder raus gewaschen hatte. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Sie mussten verschwinden. Elyon sah gerade wie zwei breitgebaute Arbeiter über den Hof liefen.

  ?Wohin??, fragte sie.

  Lenius atmete schwer aus, dann hob er den verschreckten Jungen auf und rannte über die D?cher voran zum südlichen Stadtteil.

  –

  Sie erreichten die Burg am Abend. Sobald Elyon abgestiegen war, nahm sie ihren Umhang, den sie als Bündel auf ihrem Rücken geschnürt hatte und ging damit zum Bach, der aus einem kleinen Wasserfall entsprang, zwischen den Felsen auf der rechten Seite der Burg. Die anderen riefen nach ihr, doch sie hielt nicht an. Ihr waren Alinas beunruhigte Blicke egal. Auch Gilwas Freude über den Jungen, den sie gerettet hatten. Oder Lenius' ernsten Blick. Das Blut musste so schnell wie m?glich raus gewaschen werden. Am Ufer nahm sie einen Stein der gut in ihrer Hand lag, tr?nkte das Fell im kalten Wasser und begann die Flecken mit dem Stein abzureiben. Als sie Schritte hinter sich h?rte, warf Elyon einen kurzen Blick über die Schulter. Es war Lenius. Unbekümmert, rieb sie den Stein weiter über das Fell.

  ?Wir müssen reden?, sagte er ernst.

  Elyon lie? nicht von ihrer Arbeit ab. Sie konnte nicht ruhen, ehe nicht das Blut vom Fell ihres Gro?vaters raus gewaschen war.

  ?Elora. K?nntest du dich bitte zu mir umdrehen??

  ?Kann so auch zuh?ren.?

  Lenius st?hnte genervt und ging neben ihr in die Hocke. Sie h?rte das Rascheln von Papier.

  ?Schaut Euch bitte das hier an, Prinzessin Elyon.?

  Ein eiskalter Schauer packte sie am ganzen K?rper. Ihre H?nde froren in ihren Bewegungen ein. Langsam drehte sie ihren Kopf zu Lenius. Er hielt ihr ein Stück Papier hin. Es war noch hell genug, dass sie lesen konnte, was darauf stand. Der Stein fiel aus ihrer Hand, rollte das Fell hinunter und wurde vom Bach weggetrieben. Elyon hatte gerade noch genug Geistesanwesenheit, um ihren Umhang aus dem Wasser zu ziehen.

  Es war ein Steckbrief. Eine der letzten Portr?tradierung, die von der Hofdruckerei ihrer Burg angefertigt worden war, war darauf abgedruckt. Man sah ihr ernstes Gesicht, umrahmt von langen, dunklen Augen.

  ?Woher??

  ?Ich habe es zuf?llig beim Einkaufen gefunden. Alina und Gilwa haben es nicht gesehen. Ich habe es vorher heruntergerissen.? Mit einem schweren Seufzer fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht.

  Elyon nahm das Papier an sich und überflog die Zeilen. Es war eine Personenfahndung im Auftrag des Kaisers. Er hatte sogar Kopfgeld auf sie gesetzt.

  Ihre T?uschung war aufgeflogen. Sie hatte es bereits erwartet. Vor allem ihr Vater würde niemals glauben, dass ausgerechnet sie von wilden Tieren gerissen worden war. Aber sie hatte gehofft, er würde es so lange wie m?glich für sich behalten. Und unauff?llig nach ihr suchen lassen, ohne dass der Kaiser oder K?nig Demian davon erfuhren.

  Sie lie? den Steckbrief fallen und rieb sich murrend die Stirn. Jetzt würde sie um jeden Preis alle St?dte, wahrscheinlich sogar alle D?rfer meiden müssen. Der Steckbrief war bestimmt sofort, nachdem der kaiserliche Prinz sie in der N?he vom Reich Tannschw?rze gesehen hatte, in Auftrag gegeben worden. Und jetzt wusste der Kaiser, in welcher Gegend sie sich aufhielt.

  Elyon hielt in ihren Sorgen inne. Sie war auf einer verlassenen Burg, die man unm?glich zu Fu?, oder zu Pferd erreichen konnte. Und die Drachen und M?nner auf der Burg waren für sie nicht so gef?hrlich, wie die Monarchen die nach ihr fahndeten.

  ?Prinzessin Elyon, ich muss Euch bitten die Burg bei Morgengrauen zu verlassen.?

  Elyon sah erschrocken auf.

  ?Ich kann Euch hier nicht mehr beherbergen. Ihr bringt wegen der Fahndung meine Bande in Gefahr.? Lenius seufzte tief und starrte nachdenklich auf das Wasser. ?Und au?erdem bin ich ... Ich bin einer von Demians Handlangern. Er kommt regelm??ig vorbei um die Drachen, die ich hier im Osten von Rovis aufsammle abzuholen. In den n?chsten Tagen, steht wieder ein Besuch von ihm an. Er hat mir den Auftrag gegeben, nach Euch Ausschau zu halten und ihm auszuliefern, sollte ich Euch finden.?

  Elyon sprang auf die Beine und wich vor Lenius zurück.

  ?H?rt zu, eigentlich müsste ich Euch an ihn übergeben. Aber ich arbeite nicht freiwillig für ihn. Solange wir es schaffen, Eure Identit?t und Euren Aufenthalt geheim zu halten, sollte Demian niemals etwas erfahren. Ihr habt mir geholfen. Und ich kenne ihn. Egal was er mit Euch vorhat, es kann nichts Gutes sein.? Lenius stand auf und sah ihr entschlossen entgegen. ?Wenn Ihr bis morgen verschwindet, werde ich niemanden von Eurer wahren Identit?t erz?hlen. Geht in der Früh mit Gilwa in den Wald, zum Jagen. Dann schickt ihn zurück und sagt, er soll Euch sp?ter abholen. In der Zwischenzeit k?nnt Ihr fliehen.?

  Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, lie? er Elyon allein in der Abendd?mmerung zurück.

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