Den Wachen folgend und mit dem Elfen im Rücken steigt Rhiscea die Treppen der Einganghalle hoch.
Noch nie in ihrem Leben hat sie sich so erniedrigt gefühlt, wie jetzt, als sie mit einem Messer an der Kehle die Stufen ihres Kindheitshauses hinaufgeführt wird. Ein Messer, das ihrem ehemaligen Gefangenen geh?rt, der ausgebrochen ist, sie entführt hat und nun ihrer eigenen Mutter als Gei?el vorführen will.
Die Fürstin bei?t die Z?hne zusammen. Die Wut brodelt nur so in ihr und Rache erscheint ihr gerade sü?er denn je. Sobald er wieder vor ihr auf dem Boden kniet, wird sie sicherstellen dass er seine Entscheidungen bitter bereut.
Keine Sekunde zweifelt sie daran, dass dies der Ausgang der ganzen Geschichte sein wird. Niemand kann einfach in das Schloss der Oberin hineinwalzen, ihre Tochter bedrohen und erwarten, da wieder lebend herauszukommen. Dennoch, dieses Theater h?tte sie sich wirklich gerne gespart. Sie kann sich nicht vorstellen, ihrer Mutter so unter die Augen zu treten.
Sie biegen noch um einige Ecken, dann stehen sie auch schon vor der Eingangspforte zum Thronsaal. Zwei weitere Wachm?nner sind davor postiert und be?ugen den seltsamen Zug misstrauisch, doch als sie von den ersten Beiden das Signal bekommen, sto?en sie die Türflügel auf und lassen die Gruppe eintreten.
Rhea kann wieder spüren, wie der Druck an ihrem Arm zunimmt, als der Elf den ihm so bekannten Saal betritt. Sie ist sich sicher dass sich vor seinem Inneren Auge gerade die Bilder seiner Hinsichtung abspielen. Beinahe bringt der Gedanke ein L?cheln auf ihre Lippen. Ja, er wird dashier ganz sicher bereuen.
“Nein, Herr Graf, ich sehe nicht ein…”
Die Stimme der Oberin bricht abrupt ab, als sie die kleine Gruppe bemerkt. Rhiscea kann sie zwar noch nicht sehen, die beiden Wachen vor ihr nehmen ihr die Sicht auf den Thron, doch sie kann den Unmut in der Stimme ihrer Mutter h?ren, als sie fragt:
“Was ist das hier? Habe ich nicht darum gebeten, für diese Besprechung allein gelassen zu werden?”
“Natürlich geehrte Oberin, allerdings hat sich eine Situation ergeben…”, beginnt der erste Wachmann zu erkl?ren. Es ist sich offensichtlich unsicher, wie er die Information weiterzugeben hat. Im n?chsten Moment aber wird er auch schon von dem Elfen unterbrochen.
“Ich bin hier um zu verhandeln”, stellt er mit lauter und klarer Stimme fest, bevor er Rhiscea unsanft an den beiden M?nnern vorbeischiebt.
Als die Fürstin ihre Mutter erblickt, sinkt ihr das Herz in den Magen. Die Oberin steht neben ihren Thron, eine Hand in Richtung des neben ihr stehenden Grafen erhoben, beinahe so als w?re sie in der Geste eingefrohren und jederzeit bereit, die Diskussion fortzusetzen. Nur ihr Kopf ist den beiden Wachen zugewendet und ihr Blick liegt auf ihrer Tochter.
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Langsam beginnen sich die etwas gereizt anmutenden Gesichtszüge zu ver?ndern, bis sich darin nur noch Verwirrung spiegelt.
“Rhiscea?”
In diesem Moment wünscht sich Rhea, die Erde würde sich unter ihr ?ffnen und sie in einem Stück verschlingen. Sie will ihrer Mutter nicht in die Augen sehen, viel zu sehr sch?mt sie sich für ihre überheblichkeit und Selbstübersch?tzung. Dennoch wünscht sie nicht auch noch den letzten Funken an Würde abzugeben und so hebt sie den Kopf und sieht mit festem Blick die Oberin an.
Langsam beginnt sich eine Spur Unglauben auf dem Gesicht der Regentin auszubreiten, was es für die Fürstin nur noch schwerer macht, ihren Blick zu halten.
“Rhea, was ist…”
Sie wird von dem Hybriden sofort unterbrochen.
“Ich will verhandeln”, wiederholt er sich.
Die Oberin l?sst endlich die Hand sinken und will einige Schritte auf die Beiden zumachen, h?lt aber in der Bewegung inne, als der Elf faucht:
“Bleib wo du bist, oder ich lasse deine geliebte Tochter hier, direkt vor deinen Augen ausbluten.”
Der Druck an Rhisceas Hals verst?rkt sich ein wenig und sie kann fühlen, wie sich die Klinge ein klein wenig tiefer in ihre Haut gr?bt. Der Schmerz l?sst ihren Herzschlag an Tempo gewinnen. Selbst wenn sie es niemals zugeben würde, die Drohung des Elfen l?sst sie nerv?s werden.
Ein Schmunzeln macht sich auf dem Gesicht der Oberin breit, bevor sie die Worte des Hybrids widerholt:
“Du wünschst mit mir zu verhandeln?”
Ihre Stimme ist zuckersü? und doch liegt in ihren Augen der gleiche, gef?hrliche Ausdruck, wie der einer Schlange, bevor sie zubei?t.
Auch der Elf scheint den Blick der Oberin bemerkt zu haben, denn seine Atmung verschnellert sich ein wenig. Dennoch bleibt er still, die reaktion der Oberin abwartend.
“Nun”, spricht diese nach einer l?ngeren Pause schlie?lich weiter, “Was für einen Handel schl?gst du vor, Vampir?”
Er holt noch einmal Luft, bevor er antwortet. Rhea kann in seiner Stimme h?ren, dass er darum k?mpft, so gefasst wie m?glich zu wirken. Es scheint ihm jedoch nicht vollst?ndig zu gelingen.
“Als Tausch für das Leben dieser Frau m?chte ich Amnestie vor dem Reich und vor dir.”
Diesmal dringt das Zittern bis in seine Stimme vor, als er noch hinzufügt: “Du darfst mich nicht mehr verfolgen oder deine Ritter auf mich hetzen. Ich bin ein freier Mann und niemand darf mich mehr jagen oder mir nach dem Leben trachten.”
Selbst er muss wissen, dass seine Forderung l?cherlich ist.
Wie zu Rhisceas Best?tigung, beginnt die Oberin zu lachen. Ihre helle, durchdringende Stimme hallt von den W?nden des Thronsaales wider und l?sst den Elfen zusammenzucken.
“Wie amüsant”, merkt sie an, als sie ausgelacht hat, “du denkst, dass du einfach so eine meiner Fürsten entführen, in mein Schloss eindringen und mir ein Ultimatum stellen kannst, welches ich dann auch noch gew?hre?”
“Dir bleiben nicht viele Wahlm?glichkeiten, Hexe”, faucht er.
“Nun, da muss ich dich leider entt?uschen.”
Sie l?chelt immer noch, doch die Freude welche ihr Lippen ausdrücken wollen, erreicht ihre Augen nicht. Mit eine Spur von Abscheu mischt sich in ihre Stimme und ihren Blick, der nun zu Rhea hinüberwandert, als sie erkl?rt:
“Das Leben einer Fürstin, welche du gefangen nehmen konntest, ist mir noch weniger wert als deines.”
Dann fügt sie noch an die Wachen gewandt hinzu: “T?tet sie beide.”
N?chstes Kapitel: 06.05. "Mütterliche Sorgen"