Nevin lief gerade am Haupteingang des Geb?udes vorbei, als zwei Gestalten durch die gro?en Eingangstüren herauskamen. Es waren der Bruder und das blonde M?dchen. Er lie? den Fluch aus seiner Bisswunde durch seinen K?rper in sein Ohr flie?en, damit er besser h?ren konnte und ging zu einer Bank auf der gegenüber liegenden Seite.
?Ich kann es nicht glauben, dass wir alle t?uschen sollen! Da predigen sie uns seit unserer Kindheit, dass Lügen gegen das Gesetz ist und sie tun es selbst hinter unseren Rücken!? Der Bruder ballte zitternd die F?uste zusammen und verzog das Gesicht als h?tte er Schmerzen.
Tessa legte einen Arm auf seine Schulter. ?Still, Aiven. Das darf niemand erfahren.? Ein schmerzhafter Ausdruck fuhr über ihr Gesicht. ?Glaubst du, sie lebt noch??
?Natürlich lebt sie noch.? Aiven starrte in die Ferne, als k?nnte er dort seine Schwester sehen. ?Ich hasse das Gefühl, nicht so wissen, wo sie ist. Wir waren noch nie getrennt.?
Das blonde M?dchen seufzte. Nevin holte ein kleines Heft aus seiner Tasche hervor und tat so als w?re er mit Lesen besch?ftigt.
?Sie sollten uns jetzt hoffentlich in Ruhe lassen. Vorausgesetzt, wir benehmen uns in der Arbeit und halten den Mund.? Sie warf einen betonten Blick auf Aiven.
?Was? Ich werde nichts anstellen! Versprochen. Ich werde brav sein. Und meine Klappe halten, keine Sorge. Das schaffe selbst ich. Die Arbeit auf dem Pferdehof ist kein Problem für mich. Wo haben sie dich noch mal eingeteilt? Tut mir leid Tessa, ich hab nicht so genau zugeh?rt.?
?Im Postamt.?
Nevin drückte die Lippen zusammen um nicht zu grinsen. Im Pferdehof konnte er Aiven leicht von seinem Plan überzeugen. Und vielleicht, wenn er auch Tessa für seine Pl?ne gewann, konnte sie ihm einige Feuerfalken besorgen, die als Postboten für lange Entfernungen in H?hental dienten.
Die beiden stiegen die fünf Stufen hinunter und nahmen den Weg vorbei am Hof wo die Kutschen standen.
Nevin lie? sie einige Meter weiter laufen, eher er aufstand und ihnen folgte. Sie machten sich auf in Richtung der Hügelkette und gingen entlang der Weiden wo Schafe und Ziegen grasten, bis sie zu einem besonders hohen Hügel gelangten, wo eine einsame, riesige Eiche stand. Die beiden setzten sich ins Gras, w?hrend Nevin sich hinter dem breiten Stamm der Eiche versteckte. Von hier hatten sie einen freien Blick auf die rostbraunen Schluchten, bis hinter zu der riesigen unbewohnten Steppe die zwischen H?hental und der Kaiserstadt stand.
?Tessa, ich werde nicht hier bleiben?, stie? Aiven seufzend aus. Tessa rupfte Grashalme aus dem Boden. Beide sa?en mit dem Rücken zu ihm gerichtet, so dass Nevin nicht viel mehr wahrnehmen konnte, als ihre Stimmen und ihre Gestik.
?Willst du nach Hause zurück??
?Nein. Ich werde nicht in H?hental bleiben. Ich wei?, dass alle gepredigt haben, dass Alina und ich irgendwann eigene Wege gehen müssen, aber nicht so. Ich werde nach Alina suchen.? Aivens Stimme zitterte, als er bei seinen letzten Worten ankam. Für einen Augenblick, bewegte sich keiner von ihnen, noch sagten sie ein weiteres Wort. Dann seufzte Tessa, lang und schwer.
?Warum überrascht mich das nicht??
Aiven warf ihr einen ungl?ubigen Blick zu. ?Warum bin ich jetzt überrascht? Wo bleibt deine Standpauke? Deine, du denkst nie bevor du handelst Rede??
?Es gibt keine. Ich werde mitkommen.?
Wieder herrschte Stille zwischen den beiden.
Nevin grinste. Er sollte sich bald zu erkennen geben und mit ihnen sprechen. Ihnen erz?hlen, dass er helfen konnte.
?Was?? Aiven drehte seinen Kopf zu dem blonden M?dchen und starrte sie mit offenem Mund an.
?Ich werde mitkommen. Aber nur, wenn du noch ein paar Tage wartest. Ich will vorher noch ein paar Dinge herausfinden ehe wir gehen.?
Für einen kurzen Moment schwieg Aiven, sein Mund immer noch weit offen, ehe er antwortete: ?Ich wollte nicht gleich heute verschwinden.? Er drehte sich wieder nach vorne und fuhr sich mit der Hand durch das lockige Haar. ?Was hast du vor? Wie kommt es, dass die sonst so vernünftige Tessa, sich in ein waghalsiges Unternehmen stürzen will??
?Aiven, halte mich für verrückt, aber vielleicht ist ja mein Bruder auch noch am Leben.?
Nevin horchte auf.
Aivens Hand fror mitten in seinen Haaren ein. Dann fiel sie zur Seite, als w?re sie ein schweres Gewicht.
?Nein, das ist nicht verrückt. Ich habe mich das auch schon gefragt, aber nicht getraut, was zu sagen.?
?Ich will zuerst herausfinden, ob tats?chlich die M?glichkeit besteht. Er war nicht alleine, als er angeblich gestorben ist. Ich habe bereits nachgefragt, wer damals mit ihm in der Gruppe war und das er mit einem seiner Kameraden besonders gut befreundet war. Er ist immer noch im Einsatz und ich bin sicher, dass du ihn im Stall erwischen wirst, wenn du morgen dort als Stallbursche anf?ngst. Er ist für die innere Sicherheit in H?hental zust?ndig. Du musst für mich mit ihm reden.?
Die W?chter, die für die Sicherheit innerhalb des Landes arbeiteten, waren alle zu Fu? oder mit Pferden unterwegs. Sie waren nicht so hoch angesehen wie die W?chter an den Grenzen, doch wichtig genug, dass auch sie mit Argusaugen von der Regierung beobachtet wurden. Es war zu gef?hrlich, um einen dieser W?chter fragen über etwas zu stellen, dass die Regierung verheimlichen wollte.
?Gut. Ich kann es mal probieren. Aber es kann sein, dass wir dadurch in Schwierigkeiten geraten. Hast du nicht gesagt, ich soll meinen Mund halten??, fragte Aiven.
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?Wenn wir sowieso abhauen, k?nnen wir es riskieren, ein paar Fragen zu stellen. Ich will auch herausfinden, was es mit den Drachen auf sich hat. Mir ist erst jetzt aufgefallen, wie dumm wir waren. Wie wenig uns über die Drachen erz?hlt wurden. Obwohl wir sie schon lange bek?mpfen. Das macht doch keinen Sinn.?
Aiven starrte gedankenverloren auf das Gras. ?Du hast recht. Es macht absolut keinen Sinn. Das selbst dir das nicht schon früher aufgefallen ist.?
Nevin presste sich enger an den Baumstamm. Gleich, gleich sollte er sich preisgeben.
?Weil wir den W?chtern und der Regierung vertrauen. Von klein auf wurde uns erz?hlt, dass sie nur unser Bestes wollen. Deswegen habe ich nie etwas infrage gestellt.? Tessa fuhr sich durch die kurzen hellblonden Haare. ?Ich bin verwirrt. Und ich brauche noch ein paar Antworten. Gib mir ein paar Tage Zeit.?
?Ich glaube, ich k?nnte euch jetzt schon ein paar Antworten geben?, sagte Nevin laut und trat vorsichtig auf die beiden zu. Sie drehten sich erschrocken um und stellten sich in verteidigend auf.
Beide waren gleich gro?, doch w?hrend Tessa sehr drahtig gebaut war, hatte Aiven kr?ftige Arme und Schultern. Im Vergleich zu ihnen, wirkte Nevins K?rper dünn und schwach. Die beiden konnten nicht ahnen, dass er sie beide ohne Schwierigkeiten überw?ltigen konnte. Er l?chelte und hielt beschwichtigend die H?nde hoch.
?Keine Angst. Ich will euch nichts tun. Ich bin Nevin.?
Aiven trug seinen Zorn offen in seinem Gesicht. Tessas Miene war wie eingefroren und ihr kalter Blick schnitt ihn wie ein Messer. Sie würde sich durch ein L?cheln nicht beschwichtigen lassen. Er l?ste es von seinen Lippen, sondern behielt nur den Blick auf die beiden gerichtet. Tessas K?rper war angespannt, doch sie betrachtete ihn mit einem kühlen Ausdruck im Gesicht, w?hrend Aivens Nasenflügel bebten und sein K?rper leicht zitterte, als würde Aiven es kaum aushalten, still zu stehen und sich am liebsten auf Nevin stürzen wollte.
?Ich war heute bei der Trauerfeier. Ich habe euren Wallach gehalten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das M?dchen, Alina, nicht tot ist. Sie wurde in einen Drachen verwandelt.?
Aiven lie? seine F?uste sinken. ?Woher wei?t du das??
?Sagen wir, dass ich ?hnliches erlebt habe.? Nevin entgegnete Tessas forschen Blick mit all der Ruhe, die er in seiner empfindlichen Lage aufbringen konnte. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Vorsichtig trat er noch einen Schritt n?her und flüsterte: ?Ich bin eigentlich nicht von hier. Ich komme aus dem Kaiserreich. Ich wohne in der Singbucht, an der südlichen Küste. Es ist ein Zufluchtsort für diejenigen, die sich in Drachen verwandelt haben.?
Jetzt senkte auch Tessa ihre F?uste und tauschte einen kurzen Blick mit ihrem Cousin aus. Aivens Augen flackerten hoffnungsvoll.
?Wir h?ren?, sagte Tessa streng.
?Ich habe schon mehrere Berichte geh?rt und F?lle gesehen, die eurem sehr ?hnlich waren. Viele Drachen und ihre Familien stehen unter meinem Schutz. Einige wurden verbannt, gejagt oder gefangen genommen. Sie haben viel gelitten. Ich bin hier, weil ich ihnen helfen will. Dafür muss ich die W?chter entlarven, mit Hilfe von alten und wichtigen Schriften aus der Gelehrtenbibliothek in der Hauptstadt. Ich hab die Bibliothek bis jetzt schon mehrmals durchsucht, aber sie noch nicht gefunden und mittlerweile sind die Sicherheitsvorkehrungen dort erh?ht worden. Ich brauche Hilfe um ein letztes Mal hineinzugelangen.?
?Was ist in den Schriften enthalten??, fragte Tessa.
?Haupts?chlich die Geschichte H?hentals. Vor der Zeit der W?chter. Als das Land noch von einem K?nig regiert wurde. Und hoffentlich auch etwas über die Drachen und wie man den Fluch aufheben kann. Da wir vermuten, dass er hier seinen Ursprung genommen hat.?
?K?nig??, fragte Tessa. Aiven hielt seine Hand vor ihr hin. ?Warte, erz?hle uns zuerst über diesen Fluch. Was bedeutet das??
?Alle Drachen sind eigentlich Menschen. Wir vermuten, dass es ein Fluch ist, der sie in Drachen verwandelt, sobald sie von einem gebissen wurden. Ich versuche schon seit Jahren einen Weg zu finden, um ihn aufzuheben.?
Aiven tauschte einen Blick mit seiner Cousine aus. Er sah immer noch hoffnungsvoll aus, doch ihre Miene war so streng wie am Anfang.
?Wieso wei?t du so viel darüber? Und wir nicht? Wieso ist das nicht unter den W?chtern bekannt?? Sie verschr?nkte die Arme.
?Weil ich aus dem Kaiserreich komme. Wir wissen ein wenig mehr über die Drachen. Aber selbst ich wei? nicht alles. Wenn ihr noch mehr Antworten wollt, brauche ich eure Hilfe um sie zu beschaffen?, erkl?rte Nevin und presste seine Lippen leicht zusammen.
?Tessa, wir sollte es versuchen?, flüsterte Aiven.
?Warum sollten wir dir vertrauen?? Tessas Augen blitzten ihn misstrauisch an.
?Du wirst eine Stelle im Postamt anfangen, nicht wahr??, fragte Nevin.
Sie nickte nur.
?Wenn du kannst, versuche in den Turm im Postamt zu gelangen, dort wo die Feuerfalken landen und suche nach Briefen, die mit einem braunen Lederband zusammengebunden sind. Sie kommen aus der Singbucht. Sie werden nicht gelesen, sondern sofort verbrannt. Du kannst gerne versuchen einen von ihnen zu lesen. Lass dich nur nicht erwischen. Wir k?nnen uns morgen Abend wieder treffen. Ich werde um Mitternacht hier sein und auf euch warten. Bitte behaltet diese Unterhaltung für euch. Die Spione dürfen nichts davon erfahren.?
Beide rissen die Augen auf.
?Was? Was meinst du damit??, fragte Aiven.
?Eure Regierung setzt Spione auf die W?chter, die entweder einen Drachenbiss oder eine Verwandlung mitbekommen haben. Und auch auf die Verwandtschaft des Gebissenen.?
Tessas Arme fielen herunter. ?Spione??
Nevin nickte. ?Damit sie sicher sind, dass niemand etwas ausplaudert.?
?Und was passiert, wenn jemand etwas sagt??, fragte Aiven.
Nevin presste seine Lippen zusammen. Keiner von ihnen hatte überlebt.
?Nichts Gutes. Ich muss zurück in die Arbeit. überlegt es euch bis morgen. Wenn ihr mir helft, kann ich euch sicher aus H?hental schleusen.?
?Du kannst mit mir rechnen?, platzte es aus Aiven heraus.
Tessa packte seine Schulter. ?Aiven, sollten wir uns das nicht zuerst besser überlegen??
Er schüttelte den Kopf. ?Du kannst noch so vernünftig auf mich einreden, wie du willst. Ich muss sie finden. Sie ist meine kleine Zwillingsschwester. Wir haben versprochen, dass wir immer gegenseitig auf uns aufpassen. Das kann ich nicht, wenn ich nicht wei?, wo sie ist.?
Tessa seufzte und fuhr sich durch ihre kurzen blonden Haare. W?hrend sie überlegte. Dann nickte sie leicht. ?Wir helfen. Dafür bekommen wir mehr Informationen über die Singbucht, die Drachen, Zugang zur Singbucht und Hilfe um meine Cousine wiederzufinden. Aber nur, wenn das, was du über die Briefe gesagt hast, stimmt.?
Nevin lie? sein L?cheln wieder über die Lippen kommen. ?Abgemacht.?