Die Fenster standen sperrangelweit offen. Wieder einmal war es ein herrlich warmer Tag. Amalie nützte das angenehme Wetter, um drau?en am Gel?nder des Balkons zu lehnen und hinunter in die Stra?en zu schauen. Viel war dort los. Gro?e Teile der Stadt waren wieder aufgebaut worden, obgleich die Wiederherstellung so einiger Winkel der Goldenen Stadt immer noch ausst?ndig war. Für die Dame, die ihren Blick über die Stadtkulisse schweifen lie?, hatte die Metropole sich massiv im Vergleich zu der Zeit vor dem gro?en Schicksalstag ver?ndert. Sie hatte ihren monumentalen, eindrucksvollen Charakter behalten, trotzdem war sie nun nicht mehr dieselbe. Dasselbe konnte man wohl über alle sagen, die die damaligen Ereignisse durchlebt hatten.
Sie vernahm ein Klopfen an der Türe und fragte sogleich, wer es denn war. Raskild ?ffnete die Eingangstür einen Spalt, um dies zu sagen: ?Eure Hoheit, Ludovic bittet um Einlass.“ – ?So lass sie ihn herein!“, gab die Statthalterin da unmittelbar zurück. Fast schon gewaltsam riss der Mann da die Türe das restliche Stück zur überraschung Raskilds noch auf. Die Leibw?chterin war wenig amüsiert über dieses Vorgehen, machte ihm aber dann doch Platz, um einzutreten. Das tat der Hochgewachsene dann auch. Ludovic begrü?te als erstes gleich seine Mutter, und stellte fest, wie luftig das Kleid, das sie gerade trug, für die Jahreszeit doch war. Wenig verwunderlich war dies dennoch, herrschte doch momentan eine abnorme Hitze. Ebenso zog das beinah vollendete Bild ihrer Heimatstadt Olemar, das immer noch auf seinem Stativ in der Mitte des Raums stand, dessen Aufmerksamkeit kurz auf sich.
?Komm, setzt dich,“, sprach Amalie da zu ihm und er leistete Folge, indem er sich zu ihr an den kleinen Tisch gesellte. ?Ich wei? schon, warum du hier bist, Ludo.“ – ?Wisst Ihr das wirklich, Frau Mutter? Ich wage es zu bezweifeln.“ Seiner schroffen Aussage wurde ein forschender Blick entgegengebracht, welcher jedoch nicht beleidigt war. Dann sprach Ludo: ?Ich wei? nicht genau, wie ich die Angelegenheit angehen sollte. In keinster Weise m?chte ich anma?end sein, doch habe ich das Gefühl, dass Herr Vater einen Fehler damit begangen hat, mich nicht als den Erben festzulegen.“ Amalie wollte daraufhin zur Gegenrede ansetzen, doch noch bevor ihre Lippen den ersten Laut hervorbringen konnten, fuhr Ludo bereits fort: ?Ich wei?, ich wei?, Frau Mutter! Die Gründe dafür, meine Nicht-Heiligkeit, sind mir natürlich vollkommen einleuchtend. Und dennoch! Wofür hat er mich dann überhaupt bei sich aufgenommen? War es nur eine zeitweilige Idee von ihm, eine Laune Melgars?“
?Nein, war es nicht. Sei dir dessen sicher, Wenzel hat dich wahrhaftig als seinen Sohn adoptiert und nicht nur so halb, wie du scheinbar den Eindruck hast“, antwortete ihm die Dame da. Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein sanfter Anflug von Mitleid, vielleicht sogar Trauer, welcher aber schnell wieder entschwand. ?Dann war es also ein gescheitertes Experiment, der fehlgeschlagene Versuch einen würdigen Nachfolger zu kreieren. Deshalb hat man mich düpiert.“ – ?Ludo! Sieh mich an, mein Junge, sieh mir in die Augen!“, fuhr ihn daraufhin ihre Hoheit emp?rt an. ?Wenn ich dir sage, dass das, was du gesagt hast, nicht stimmt, dann glaub es mir, bitte. Kannst du irgendeine Art von Lug in meinen Augen sehen? Kannst du es?“ – ?Nein, Frau Mutter.“ – ?Ich hoffe es. Denn es ist die Wahrheit. Und ich habe dir beim Rat bereits versichert, dass du nur Geduld haben musst. M?gest du zwar niemals ein wahrer Kaiser sein, doch der Thron wird an dich weitergehen, dafür werde ich sorgen. Bereits jetzt ist es schon in meinem Testament festgeschrieben, aber dieses wird bis zu meinem Tod unter Verschluss bleiben, um Konflikte zu vermeiden.“
Der Mann hielt kurz inne und grübelte nach. Nach fast schon einer vollen Minute erwiderte er ihr schlie?lich: ?Vielen Dank, werte Frau Mutter! Ich bin froh darüber, dass Ihr meinen Wert seht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis meine liebe Melinda unser erstes Kind zur Welt bringt. Die Nachkommenschaft ist gesichert.“ Ludovic unterlag der Annahme, dass eine stabile Herrschaftsnachfolge die h?chste Priorit?t für seine Adoptivmutter war. Damit lag er zwar richtig, doch war er sich der emotionalen Bindung, die diese mittlerweile zu ihm aufgebaut hatte, nicht bewusst. Viel zu oft wirkte ihre Majest?t überaus distanziert zu ihm, was ihn zum Schluss geführt hatte, dass er niemals ihr erstes Kind, ihre Tochter Viktoria, in ihrem Herzen ersetzen k?nnen würde. Damit lag er irgendwie auch richtig, aber nicht zur G?nze…
?Wenn dies Herrn Vater nur vor seinem Tod noch bekannt geworden w?re.“ – ?Wer wei?, vielleicht wusste er es ja“, entgegnete ihm Amalie da stumpf. ?Wenzel konnte so Vieles sehen, viel mehr als jeder andere jemals gesehen hatte.“ Das veranlasste Ludo in fast schon verzweifeltem Ton nachzufragen: ?Ja, aber warum dann das alles? Die Amulette, die geheimen Pl?ne und T?uschereien, warum?“ Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wodurch diese dann zerzaust in alle Richtungen standen. Die Statthalterin hatte keinen Schimmer, was sie antworten sollte. Das Zuletzt-Ge?u?erte brachte sie aber auf einen anderen Gedankengang. ?Das Seelenamulett von meinem Liebsten. Wir brauchen es. Unbedingt. Wir k?nnen es nicht irgendjemand anderem überlassen. Und ganz sicher werden Leute sich nun aufmachen es zu finden, um selbst m?chtig zu werden.“ Hierbei gab der hochgewachsene Mann seiner Mutter, ohne Z?gern, recht. ?Silke hat sicher irgendwas damit zu tun! Ich spüre es!“, verlautete die Frau da. Bei dieser Sache musste ihr Ludo aber widersprechen: ?Nein, glaube ich nicht. Sie hat zwar über das Versteck des Amuletts gewusst, und ebenso würde ich es ihr zutrauen, beim Diebstahl des Artefakts geholfen zu haben, doch gleichzeitig ist es einfach nicht m?glich, dass sie es war. Unmittelbar zuvor war sie von Euch aus dem Palast geworfen worden, und zwar ohne die Erlaubnis wiedereintreten zu dürfen. Wie sollte sie es denn für den Reichskanzler gestohlen haben, wenn sie nicht mehr hereinkonnte?“
Auch die Statthalterin musste zugeben, dass die Logik ihres Sohnes Sinn ergab. Sofort nachdem die ehemalige Assistentin des Kaisers endgültig verbannt worden war, hatte der pers?nliche Diener der Herrscherin, Rizzo, das Vorhandensein des Heiligen Artefakts überprüft und auch ihrer Majest?t best?tigt. Auch wenn Silke somit die erste Verdachtsperson für den Diebstahl des Amuletts war, so lag doch gleichzeitig keinerlei handfester Beleg vor, wie sie es denn entwendet haben k?nnte. Nach der besagten Dame würden sie nun dennoch suchen lassen. Doch schien sie mittlerweile verschwunden zu sein. Eine verd?chtige Sachlage. ?Ich werde jemanden damit beauftragen, Frau Silke aufzuspüren. Mit dem Heiligen Artefakt kann ich aber nicht einfach irgendeinem Handlanger vertrauen. H?chstens Rizzo k?me hier infrage. Den kann ich jedoch nicht entbehren, weil ich ihn hier bei mir brauche.“
Ihr Gespr?chspartner begriff sofort, was er hier zu tun hatte. Somit entgegnete er: ?Ich verstehe. Ich bin bereit mich pers?nlich auf den Weg zu machen, um Herrn Vaters Seele zurückzuholen. Es ist auch mir ein gro?es Anliegen. Und wem k?nnte man mehr vertrauen als mir?“ Verhalten nickte Amalie daraufhin in übereinstimmung. ?In der Tat steht deine Vertrauenswürdigkeit au?er Frage. Aber ebenso m?chte ich dir nichts aufbürden, das vielleicht zu gef?hrlich ist und dich obendrein von deinen eigentlichen Aufgaben und Pflichten abh?lt.“ – ?Macht Euch da keine Sorgen, Frau Mutter! Meine Aufgaben kann ich gro?teils aufschieben, oder derweil jemand anderen erledigen lassen. Ansonsten braucht Ihr Euch keine Sorgen um mein Wohlbefinden machen. Es gibt keine Gefahr, derer ich nicht gewachsen w?re.“ Entnervt warf ihm die Herrscherin da entgegen: ?Ach, M?nner! Typisch!“ Ludovic gab folgende Erwiderung: ?Ich habe mich bereits entschieden, dass ich mich der Sache annehmen werde. Versucht nicht mich aufzuhalten!“
Amalie schnaufte in Resignation und sagte dann: ?Ich wei?. Ich kenne dich schon lange genug. Sei mir aber ja, vorsichtig, h?rst du?“ – ?Natürlich, Frau Mutter!“ Somit gab sie ihm dann ihren Segen. Danach rief sie sogleich Rizzo herbei, damit er sie über den neuesten Informationsstand bezüglich der Zielorte der vier Reiter informierte, und damit er einen Trupp an Leibw?chtern für den Thronfolger aufstellte. Alles ging nun recht schnell. Schon am Folgetag würde Ludo aufbrechen, um das gestohlene Artefakt zu finden.
Ein kalter, klarer Morgen d?mmerte. Die goldenen D?cher der Duhnmetropole blitzten auf, wie Leuchtfeuer. Dem künftigen Thronfolger fr?stelte es da ein wenig, doch er riss sich zusammen und ignorierte einfach die G?nsehaut an seinem Oberk?rper. Als er und seine 4 bewaffneten Begleiter beim sogenannten ?Sankt Balthasartor“ gen Westen hinaustrabten, sehnte er sich noch einmal zurück an seine Liebste, von der er sich vor seiner Abfahrt noch schweren Herzens verabschiedet hatte. Er hatte keine Angst. ?Das wird ein einfaches Unterfangen werden“, dachte er sich, obwohl er das gar nicht wissen konnte, da er keine Ahnung hatte, wo genau das Amulett zu finden war und wer genau es hatte. Aber in irgendeiner Richtung mussten sie halt anfangen und diese würde nun entgegen der aufgehenden Sonne sein.
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Augenzeugenberichten zufolge war ein mysteri?ser Reiter im betreffenden Zeitraum vor dem Gro?en Rat, aus westlicher Richtung kommend, bei Kosen gesichtet worden. Darum machte sich die kleine Gef?hrtenschaft nun zu diesem Ort auf. Auf dem Weg dorthin gab es viele D?rfer, kleinere und gr??ere St?dte, die sie durchquerten. Schlie?lich reisten sie ja auch entlang der Hauptstra?e – es war aber keine Reichstra?e – was normalerweise eine relativ sichere Route war. Normalerweise. Was hie? das schon? In den St?dten wurde von der Stadtwache für Ordnung gesorgt, doch auf allen Strecken dazwischen trieb so manch finsterer Halunke und allerlei Abschaum sein Unwesen. Die fünfk?pfige Gespannschaft würde versuchen m?glichst in Siedlungen zu übernachten. Doch war ihnen Eile geboten, denn sie wollten schnellstm?glich das Seelenamulett zurückholen. Deshalb würden sie so viel Strecke, wie m?glich pro Tag zurücklegen, selbst wenn dies bedeutete, dass sie in freier Wildnis zelten mussten.
Mit aufmerksamem Blick schritt Ludovic nun mit seinen M?nnern voran. Sie durchstreiften weite, wogende Felder, inmitten derer manchmal ein kleines D?rfchen, wie ein Schiff, das am offenen Meer dahintrieb, dahergeschwommen kam. Ein goldgelbes Paradies, hier. Wenn dieser Eindruck nicht t?uschte. Rasch ritten sie durch diese Orte hindurch, ohne den banalen Bauerngeh?ften und dem einfachen Fu?volk jedwede Aufmerksamkeit zu schenken. Wieder und wieder wirbelte der Wind Staubwolken vor ihnen auf. Viel zu lange, mit Sicherheit Wochen, hatte es bereits nicht mehr geregnet. Weiter ging die Reise. Ihre ersten N?chte verbrachten sie ?fter als sie gedacht hatten unter freiem Himmel. Die Fünf st?rte das nicht. Alle schliefen sie stets mit einem offenen Auge, immerzu bereit auf unerwünschte St?renfriede entsprechend reagieren zu k?nnen. Kein Vorfall ereignete sich.
Am abendlichen Lagerfeuer teilten die Leibw?chter und Ludo dann ihre Geschichten miteinander. Es waren vor allem Kriegsgeschichten, da alle vier der Soldaten sich in den Kampagnen der Heiligen Armee gegen die Aufst?nde, die der Rückkehr Melgars gefolgt waren, verdient gemacht hatten. Im Schein des Lagerfeuers sangen, lachten und spa?ten sie miteinander. Es war ein gro?artiges Beisammensein. Dennoch gab der geheime Thronfolger nichts wirklich Bedeutsames aus seiner Vergangenheit gegenüber den Kerlen preis. Seine wahre Herkunft und Werdegang waren nur seiner Gemahlin, der Frau Mutter Amalie und dem weggeschiedenen Herrn Vater Melgar bekannt. Es war besser so. Den Leibw?chtern erz?hlte er auf dieser Suchmission nur wieder seine Verschleierungsgeschichte. W?hrend der Zubereitung des Abendessens jedoch, konnte man den langen Lackel Ludo manchmal ins Feuer unterm Kochkessel starren sehen. Er sprach kein Wort. Auch, wenn es sonst keinem, au?er ihm selbst, bekannt war, so sinnierte er hier zurück in die Zeit, die er mit Kaiser Melgar verbracht hatte. Das Amulett ging, ihm nicht mehr aus dem Kopf, und der damit verbundene Umstand, dass sein Adoptivvater, zumindest auf eine gewisse Weise, noch am Leben war.
Er konnte sich noch daran erinnern, als ob es erst gestern gewesen w?re. Lange, dünne Wolken zogen sich wie Schleier am Himmel entlang und Ludo beobachtete sie durch das Glas der Fensterscheibe hindurch. Dann fiel sein Blick wieder auf seinen ehrwürdigen Vater, der gebückt an seinem massiven Arbeitstisch sa?. Um dessen K?rper war ein hauchdünner, schimmernder Film gelegt. Es war die minimal m?gliche Menge an Aura, die seine Majest?t emittieren konnte, und auch nur, weil er es bewusst zulie?. Welch Ausma? an Kontrolle er doch über seine Kr?fte hatte! Stets ruhig und beherrscht war seine Hoheit, weder Magie noch irgendeine andere Emotion entglitt ihm. Er war der stoische Herr und Meister der Welt. Wie ein Gigant unter Zwergen, ein Unsterblicher unter Sterblichen thronte er da vor ihm. Ludovic konnte es immer noch kaum fassen, dass er von diesem adoptiert worden war.
Er n?herte sich an, um einen flüchtigen Blick auf das zu erhaschen, was der Zauberer da gerade aufschrieb. Auf frischem Pergament waren Aufbau und Ziel des kommenden Experiments notiert. Auf dem Blatt daneben würde das Protokoll festgehalten werden. Dann wandte sich Seine Hoheit ihm zu und sagte: ?Ich bin jetzt fertig. Wir k?nnen anfangen.“ Aus seinen tiefgründigen Augen schielten ihm tiefgrüne Pupillen einen kurzen Augenblick entgegen, bevor auf einmal die üblichen zwei Sterne diese wieder übertünchten. ?Jawohl, Herr Vater“, gab Ludo da unmittelbar zurück. ?Und was genau werden wir heute machen?“ Der Erkorene antwortete ihm darauf: ?Ich werde sehen, ob wir den Zauberkreis wom?glich permanent in den K?rper ?integrieren‘ müssen, um diesen zum Funktionieren zu bringen.“ Das Wort ?integrieren“ hob er dabei hervor, indem er zu diesem G?nsefü?chen mit seinen Fingern vorzeigte. Seid Ihr Euch da sicher, Vater?“, fühlte sich sein Sohn da sogleich gezwungen nachzufragen. Er klang verunsichert.
?Nein“, kam es schlicht von seinem Gegenüber zurück. Aber ich bin mir sicher, dass mit meinem Zauberkreis alles stimmt. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum er nicht gehen sollte. Er müsste eigentlich gehen. Müsste…. Aber er tut es nicht. Drum vermute ich, dass es vielleicht vonn?ten ist, das Ding in dein nicht-magisches Fleisch zu ritzen, um es tats?chlich zum Laufen zu bringen.“ – ?Na gut. Tut es!“, entgegnete ihm Ludo nerv?s, aber furchtlos. Wenn dies funktionierte, würde er ein Magier werden und sein Traum würde endlich wahr werden! Folglich beorderte ihn Seine Majest?t, sich mit freiem Oberk?rper auf die Pritsche etwas abseits von ihnen zu legen. Der junge Mann tat dies ohne Z?gern. Er legte sich auf seinem Bauch hin, w?hrend der Kaiser sich ein Messer bereitlegte, um das h?chst intrikate Muster in den Rücken seines Versuchskaninchens zu ritzen.
Der mittlerweile greise Herr mit grauem Vollbart griff nach dem Plan des magischen Zirkels, den er perfekt abkopieren musste. Es war eine sehr komplexe Zeichnung mit vielen konzentrisch kleiner werdenden Ringen, die in zahlreichen Abschnitten verschiedenste Symbole und Runen einer fremden Sprache, aber auch detailreiche Darstellungen von Kreaturen und ?hnlichem enthielt. ?Ich werde versuchen so sanft wie m?glich zu sein, kann dir aber nicht versprechen, dass es nicht wehtun wird.“ – ?Ist schon gut. Fangt einfach an“, erwiderte ihm Ludo da einfach. Dann ging’s los. Die Prozedur dauerte sehr lange, weil Melgar sicherstellen wollte, dass er auch ja keine Fehler, die er nicht mehr ausbessern k?nnen würde, beim Ins-Fleisch-Ritzen machte. Die Sache verursachte tats?chlich Schmerzen, doch biss der braunhaarige, junge Mann einfach die Z?hne zusammen und sagte nichts.
Als sie endlich fertig waren, konnte Seine Majest?t seine Neugierde nicht in Zaum halten und wollte sofort ausprobieren, ob sein Werk auch seine beabsichtigte Funktion erfüllte. Der Magier hielt seine Hand darauf und sagte die Zauberformel auf:
?Hajo fos, hajasmeno nero! Perpatise mexri to allon! Kane ten idia diname tou eklektou, aute tou allou. Fotja me fotja, nero me nero. Etsi oste na jinoun isotimoi.“
Nichts geschah. Auch Ludovic spürte nichts, au?er dem Schmerz, der davon herrührte, dass man ihm den gesamten Rücken blutig zerschnitten hatte. Der Kaiser wandte sich kommentarlos ab. ?Herr Vater?“, ert?nte es da von dem braunhaarigen Langen. Melgar antwortete nicht. Einen Moment stand er nur still da. Ludo wusste, was dies bedeutete: Der Erkorene war zornig. Zornig war er, dass sein Experiment gescheitert war. ?Noch nicht einmal das geringste Leuchten war im magischen Zirkel zu sehen.“ Er ballte seine H?nde zu F?usten. Schlie?lich kommentierte er: ?Vielleicht ist es wirklich unm?glich einen normalen Menschen zu einem Magier zu machen. Vielleicht verschwenden wir hier nur unsere Zeit mit Wunschtr?umen.“
Ludo starrte immer noch ins Lagerfeuer. Er wollte es nicht wahrhaben. ?Mit Magie ist alles m?glich. Wir verstehen sie nur noch nicht genug.“ Beinah unvorsichtig streckte er dann seine Hand zu diesem hin und versuchte das Feuer mit seinen blo?en Gedanken zu manipulieren. Angestrengt schaute er in die flackernden Flammen, nur um schlie?lich erfolglos seinen Arm wieder zurückzuziehen. Im Topf darüber blubberte der Eintopf. Er würde noch ein wenig dauern, bis es fertig war. Im Geiste war Ludo ohnehin immer noch mit allerlei Angelegenheiten besch?ftigt. Der aktuelle Thronfolger war überzeugt davon, dass er nur hart genug daran arbeiten und fest genug daran glauben müsste, dann würde er eines Tages heilig, sprich ein würdiger Nachfolger seines ehrwürdigen Vaters werden. Glaube. Das war es, was er brauchte. Auch sein Vater, hatte einst mit ihm über dieses Thema gesprochen, und dessen Worte hallten immer noch in seinem Kopf nach:
?Einst hatte ich Zweifel an der Legitimit?t des Glaubens. Ich fragte mich, wie ich denn wirklich wissen k?nnte, dass es den einen richtigen Glauben geben k?nne. Die naive Perspektive meiner Jugend hatte mich den Wald vor lauter B?umen nicht sehen lassen. Es bedarf keines wissenschaftlichen Beweises für die Existenz Gottes, um dessen Botschaft als gut und sinnstiftend erkennen zu k?nnen. Ich wusste nicht, was mir fehlte, bis ich das Vertrauen in den Herrn gefunden hatte. Dann wurden die Dinge für mich endlich klar und der Nebel, der meine Sicht blockierte, lichtete sich. Der Teleiotismus hat mich vollendet. Daher trug er auch schon immer diesen Namen. Er ist der kr?nende Abschluss der jahrtausendelangen Sinnsuche des Menschengeschlechts. Ist er perfekt? Nein. Er ist genauso menschlich wie wir, da wir Menschen ihn ja auch vertreten und leben.“
Nichts war jemals ideal, weder Menschen noch Institutionen, ja noch nicht einmal die vermeintlich unverrückbare Botschaft des Teleiotismus. Der Erkorene Gottes selbst hatte es gesagt. Er durfte sich nur nicht beirren lassen, dann würden letzten Endes seine Anstrengungen von Erfolg gekr?nt sein. Das war, wovon der Erbe der Althun Dynastie sich überzeugt hatte.