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008.3 Flucht (Teil 3)

  Der Wagen rollte weiter. Durch alle m?glichen Kuhd?rfer entlang immer holpriger werdender Stra?en fuhren Wenzel und seine Gef?hrten. Es waren bereits wieder einige Tage vergangen, seitdem sich Irnfrid ihnen angeschlossen hatte. W?hrend der Fahrt hatte sie Wenzel immer wieder mit Fragen gel?chtert oder zumindest fühlte es sich teilweise für ihn so an. Sie meinte es aber nicht b?se. Sie war schlicht und einfach interessiert daran, etwas über ihn zu erfahren. Die beiden anderen M?nner sa?en hingegen meist nur recht still daneben, wie schon den Gro?teil der Reise.

  ?Wo kommst du her Wenzel?“ – ?Meglarsbruck, aber ich wurde in Olemar aufs Internat geschickt.“

  ?Hast du Geschwister?“ – ?Ich hatte mal einen Bruder, aber der weilt nicht mehr unter uns.“

  ?Wie hei?en deine Eltern?“ – ?Althun Bertold und Hildegard.“ à Wenzel wollte hier nicht sagen, dass diese nicht seine echten Eltern waren.

  Bei all dem h?rte sie interessiert zu. Auch erz?hlte sie ihm viel von ihrer Kindheit, die sie als Tochter eines Tischlermeisters in Soldach verbrachte. Wenzel bejahte sie dabei immer und t?uschte etwas Interesse vor, um nicht unh?flich zu wirken. Im Grunde hatte er aber nicht recht viel Interesse am Leben anderer, wo er doch bei sich selbst so viele Baustellen hatte. Generell war aber für alle unverkennbar, dass sie ihn gewisserma?en bemutterte. Sie schaute auch immer darauf, dass Wenzel immer genug bei jeder Mahlzeit a?. Wenzel lie? es sich gefallen, obwohl er natürlich kein Kind mehr war. Er war schon fast siebzehn!

  Gestern Nacht hatte es das erst Mal seit langer Zeit geregnet. Es war aber nicht recht viel vom Himmel gefallen, wodurch die Dürre wohl nicht sonderlich ausgeglichen werden würde. Des Morgens begann es da schon wieder warm zu werden, auch wenn es heute definitiv temperaturm??ig angenehmer war. Wenzel setzte sich nach vorne neben die Wagenlenkerin und schaute in die zumindest etwas erquickte Natur hinaus. Irnfrid unterhielt sich ein klein wenig mit ihm und hielt dabei seine Hand. Doch bald schon nickte der Junge, der an diesem Morgen noch müde war wieder ein. Bei rumpliger Fahrt und an Irnfrids Schulter lehnend d?ste er weg.

  Dann sah Wenzel einen Mann. Es war ein riesen Riegel von einem Mann, der eine schwarze Rüstung mit einem Tierdesign trug. Er sah noch relativ jung, jedoch über zwanzig aus, hatte aber einen sehr ernsten, furchteinfl??enden Blick. Eine hübsche Frau mit langem braunem Haar lief freudig lachend auf ihn zu und sprang ihm um den Hals. Dann schaute sie ihm in die Augen und die beiden küssten sich. ?Ich liebe dich“, sprach die Frau diesem zu. Um sie herum waren Zelte und eine rote Fahne zu sehen, die man nicht genau ausmachen konnte. Wenzel hatte keine Ahnung, wer diese waren. Pl?tzlich ?sprang“ er in ein anderes Setting. Nun waren wir in einem Schlafzimmer. In einem Bett lagen zwei Personen, Mann und Frau, eng beieinander. Sie taten, was man vermuten würde. Wenzel wollte wegsehen und schaffte es nicht. Angestrengt versuchte er es nochmal und …zack! Pl?tzlich war der Traum zu Ende.

  Der Bursche riss die Augen auf. Er sa? immer noch neben Irnfrid. Im n?chsten Moment realisierte er aber, dass sie von der Stra?e abgekommen waren und begonnen hatten blindlinks in den Wald zu rollen. Das Gef?hrt war zum Stillstand gekommen. Neben ihnen sah der Junge die beiden anderen stehen. Diese gingen sie wütend an. Wenzel blickte hinüber zur Dame. Diese schaute ihn ebenso an und sagte: ?Was hast du da grade gemacht?“ Der Junge entgegnete: ?Warte, du hast das auch gesehen?“ – ?Ja.“

  ?Was war das dann?“ Doch bevor Wenzel eine Antwort bekommen konnte, wandte er sich ab und dachte nach. Erst jetzt d?mmerte es ihm, dass die Frau in der Vision Irnfrid gewesen war. Bedeutete das…… ?Das waren meine Erinnerungen“, stellte die Frau fest. ?Ich….konnte nicht mal mehr irgendetwas machen. Pl?tzlich waren nur noch diese Bilder aus meiner Vergangenheit vor mir. Hast du sie auch gesehen, Wenzel?“ Der Bursche best?tigte. Dann fragte er: ?Der Mann in der Rüstung, war das dein Mann, oder?“ Die Frau war kurz etwas besch?mt, in dem Bewusstsein, dass Wenzel etwas sehr pers?nliches aus ihrem Leben gesehen hatte, doch antwortete dann: ?Ja. Du wirst ihn bald kennenlernen.“

  Der Junge hielt immer noch ihre Hand. W?hrend die Dame ihn anblickte, konnte er ihre Gedanken und Gefühle verspüren. Er fühlte, dass diese etwas Ehrfurcht vor seinen F?higkeiten hatte, aber vor allem war sie voller Freude und Hoffnung. In dem Moment f?rbte ihre Freude auf ihn ab und auch Wenzel kam ein L?cheln über die Lippen. An diesem Tag hatte Wenzel gelernt, dass er Gedanken lesen konnte. Offenbar funktionierte dies aber nur, wenn er die andere Person dabei berührte. Danach schafften die vier ihren Wagen wieder auf die Stra?e und setzten ihre Reise fort.

  Wenige Tage sp?ter kamen sie endlich an. Als der Wagen nicht mehr durch den dichten Wald passieren konnte, stiegen sie aus, machten die Pferde los und gingen den restlichen Weg zum Lager zu Fu?. Sie erreichten schlie?lich eine Lichtung, auf der viele Zelte aufgebaut waren und wo gesch?ftiges Treiben von M?nnern, aber auch Frauen herrschte. Die einen übten den Schwertkampf, die anderen trugen S?cke umher oder kümmerten sich um die Pferde, aber auch andere Nutztiere. Es war ein gro?es Lager. Die Gruppe marschierte zielgenau auf das Zelt des Anführers zu, welches nicht sonderlich gr??er war als die anderen. Er war nicht da. Dann gingen zu einem gro?en offenen Zelt nicht weit davon. Hier sa?en ein paar M?nner an einem Tisch. Sie unterhielten sich, w?hrend sie auf Landkarten schauten, die am Tisch ausgebreitet waren. Am Zelt selbst war die rote Fahne der M?rtyrerbrigaden angebracht. Als sie sich ann?herten, wurden Wenzel und seine Begleiter von den M?nnern entdeckt. Die Information, wer hierher transportiert wurde, hatte diese logischerweise auch bereits erreicht.

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  Sie standen auf. Der in der Mitte war ein riesengro?er Mann mit breiten Schultern, überaus muskul?sem K?rper und einem Vollbart. Als er auf sie zuging, erkannte Wenzel ihn sofort. Es war Irnfrids Mann, der nun schon etwas ?lter war als in ihren Erinnerungen. Er trat heran und blickte wortw?rtlich, nicht zwingend bildlich gesprochen, auf den Jungen herab. Seine Frau trat hinter Wenzel und schob ihn ein wenig nach vorne, signalisierend, dass er die Person infrage war. Dieser hielt ihm dann die Hand hin und sprach: ?Mein Name ist Theodor. Ich bin der Anführer der M?rtyrer. Nett dich kennenzulernen!“ Seine Pr?senz war gewaltig. Der Bursche schüttelte seine Hand und erwiderte: ?Ich bin Wenzel. Gewisserma?en kenne ich dich schon.“ Auf diese Aussage hin musste Theodor eine Augenbraue vor Verwunderung heben. Irnfrid erkl?rte ihm dann sogleich, was der Junge damit gemeint hatte. Theodor h?rte zu, doch Wenzel konnte auf keinste Weise irgendwie dessen Gedanken oder Emotionen von seinem Gesicht ablesen. Der Mann hatte stets eine strenge, ernste Fassade.

  Er wurde nicht von Theodor gebeten seine Kr?fte herzuzeigen oder zu beweisen. ?Interessant“, dachte sich der Junge da nur. Anscheinend vertraute er seiner Liebsten hier bedingungslos. Als N?chstes trat ein anderer Mann an ihn heran. Er hatte lange, braune Haare und war nicht recht gro?. Zudem trug er eine Brille. Er griff gleich nach Wenzels Hand und schüttelte sie aus Eigeninitiative. Die Person stellte sich als August, der Stabschef vor. Ein recht banaler Name für einen Mann, der irgendwie den Eindruck machte, nicht hierher unter all die hartgesottenen M?nner zu geh?ren. Um die Rolle der Organisation und Koordination der Truppen, sowie der Schaffung von Allianzen bewerkstelligen zu k?nnen, bedurfte es aber gro?en K?nnens und Wissens nicht nur über Milit?rangelegenheiten, sondern auch über die Lage im Land. August war ein kluger Mann, was genau der Grund war, weshalb Wenzel ihn als anders als die anderen Aufst?ndischen wahrnahm.

  Drei weitere Kommandeure stellten sich ihm dann noch vor. Ihre Namen waren, Rizzo, Brahm und Tassilo. Dann stellte man ihm die Gretchenfrage: ?M?chtest du dich den M?rtyrerbrigaden anschlie?en, Wenzel?“ Der Bursche z?gerte ein bisschen, als er das h?rte. Er wusste aber, dass er ohnehin keine Wahl hatte. Es gab nirgendwo anders, wo er jetzt hinkonnte. Au?erdem würden diese Leute ihn freundlich aufnehmen und unterstützen, was soll‘s also, wenn sie Fanatiker waren. Wenzel nahm das Angebot endgültig an.

  Zur Feier dessen lie? Theodor an diesem Abend eine Fete schmei?en! Man schaffte ein gro?es Schwein heran, dass man auf einem Spie? grillte. Alle M?nner kamen zusammen. Sie rollten Baumst?mme zum Lagerfeuer, über dem das Spanferkel gegrillt wurde, um sich draufsetzen zu k?nnen. Viele setzen sich aber auch einfach in die Wiese. Bevor die Ausspeise begann verkündete Theodor: ?M?nner, heute feiern wir die Ankunft eines neuen Kameraden! Sagt alle hallo, zu Wenzel! Der Junge stand auf und stellte sich kurz allen vor, setzte sich aber sofort wieder hin. Daraufhin riefen viele freudig los. Alle waren nett und gut gelaunt. Die Ansprache ging weiter: ?Heute feiern wir aber auch den Anbruch einer neuen ?ra. Vom heutigen Tag an beginnt der Widerstand derer, die für die Heilige Ordnung ihr Leben gaben und geben, zu einer Revolution zu werden! Wie eine unaufhaltsame Flutwelle wird sie alle mitrei?en und das Unrechte wegschwemmen!“ Die Menge gr?lte enthusiastisch los. Dieser Mann war eine Inspiration. So sehr, dass er fast schon auch Wenzel mitriss. Eines war aber klar, Wenzel fühlte sich hier akzeptiert. Der Anführer hatte Wenzel allerdings nicht als ?den Erkorenen“ vorgestellt. Dies regte den Jungen zum Nachdenken an. Als die Essensausgabe begann, dr?ngte eine Horde an hungrigen M?nnern nach vorne, um auch etwas abzubekommen. Im Endeffekt bekam sowieso jeder etwas ab, es ging nur darum nicht zu lange warten zu müssen. Dann ging ein feuchtfr?hlicher Abend los, denn alle tranken Bier. Auch Wenzel wurde eines angeboten und er traute sich nicht abzulehnen. Somit trank er heute sein erstes Bier. Es schmeckte ihm nicht. Beim ersten Bier ist das meistens so…

  Man begann Musik zu spielen und zu tanzen. Viele sa?en auch einfach nur zusammen, unterhielten sich und lachten. Auch an Wenzel trat der eine oder andere Kamerad heran und frage ihn ?wo er denn her ist“ oder ?warum er beigetreten ist“. Wenzel beantwortete die Fragen nur recht kurz. Er wollte nicht allzu sehr darüber reden. Dann kam Theodor mit zwei der Kommandeure zu ihm heran und verscheuchte die anderen. ?Der Brahm hier hat sich sowieso schon bei dir vorgestellt“, fing Theodor an. ?Künftig wird er dein Begleiter, also dein Leibw?chter sein. Dasselbe gilt für Isidor hier.“ Der zweite Kommandeur führte sich als Isidor ein. ?Das ist ja mal eine Vorzugsbehandlung“, ging es da Wenzel durch den Kopf. Dies war aber auch wenig überraschend. Die beiden adressierten ihn diesmal auch als den Erkorenen, daher musste er ihnen gleich klar machen, dass er das nicht wollte.

  Eine Frage hatte er allerdings, die ihn juckte. Er richtete sich an Theodor: ?Wieso hast du nicht gleich allen mitgeteilt, was ich bin?“ Der Mann hielt kurz inne und entgegnete dann: ?Weil die Zeit noch nicht reif ist.“ Er pausierte nochmal und fügte, ohne gefragt worden zu sein, hinzu: ?Bald.“ Danach unterhielt sich Wenzel noch mit seinen neuen ?Freunden“, also Leibw?chtern. Sie schienen beide nett zu sein. Der blonde und starke Brahm strahlte eine Warmherzigkeit aus, die man normalerweise nicht vort?uschen konnte, w?hrend der dunkelhaarige Isidor recht gespr?chig war. Die Feier dauerte bis in die Nacht hinein. Der Junge verstand sich halbwegs gut mit seinen beiden Begleitern. Zum Glück.

  Wenzel blickte zum Sternenhimmel hinauf und in eine ungewisse Zukunft. Das Abenteuer hatte begonnen.

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