Endlich nahm Wenzel wieder seine Hand von Theodors Scheitel. Er ?ffnete seine Augen und lie? sich in den Sessel sinken. Das war nun sehr ermüdend gewesen. Auch Theodor ?ffnete wieder seine Augen. Als sie sich dann wieder ihrer Umgebung bewusst wurden, entdeckten sie fast simultan Irnfrid bei der Türe hereinschauen. ?Zum Glück! Ich hab mir schon Sorgen gemacht!“, sagte diese ihnen. ?Geht es euch eh gut?“ – ?Alles in Ordnung“, antwortete ihr Mann mit leicht ged?mpfter Stimme. Seine Frau wusste natürlich, was hier vor sich ging. Sie war die Erste gewesen, deren Gedanken vom Erkorenen gelesen worden waren. Damals war es aber wesentlich kürzer und unabsichtlich gewesen. Bei dieser Gelegenheit fragte sich der Junge wie viel Zeit jetzt vergangen war seitdem sie hier begonnen hatten. Es fühlte sich unendlich lang an.
?Danke, dass du dich um uns kümmerst. Ich und Wenzel haben noch ein bisschen was zu besprechen. K?nntest du uns also noch ein wenig allein lassen, Schatz?“ – ?Ja, sicher“, antwortete Irnfrid und schloss die Eingangstüre wieder. Der Feldmarschall drehte sich zu Wenzel hinüber und begann zu sprechen: ?Vertraust du mir jetzt?“ Fast schon etwas peinlich berührt entgegnete der Bursche: ?Ja. Ich glaube dir jetzt. …. Tut mir leid für die Umst?nde und, dass ich …dass ich in solch pers?nliche Dinge von dir hineingeschaut habe.“ – ?Ist schon okay. Ich bin der Letzte, der wegen sowas nachtr?glich sein würde oder der wegen sowas beleidigt sein würde. Ich hab dir ja meine Erlaubnis gegeben, das zu tun. Und es ist ja auch verst?ndlich, dass du verunsichert bist und dein Vertrauen erschüttert ist, nach dem, was kürzlich mit Isidor vorgefallen ist“, erwiderte Theodor selbstbewusst.
Diese Halbwahrheit wollte Wenzel aber nicht auf sich sitzen lassen. ?Naja, das ist aber auch nicht die ganze Geschichte.“ Er pausierte kurz. ?Wei?t du, mein Mangel an Vertrauen dir gegenüber war nicht vom dem jüngsten Ereignis herrührend. Es war vielmehr wegen dem, was August mir gesagt hatte.“ Diese Aussage des Jungen weckte sichtlich Theodors Interesse. Er h?rte nun genau zu. ?Er hatte mir n?mlich gesagt, dass ich vorsichtig demgegenüber sein sollte, was die wahren Absichten unseres Anführers sind. Da ich jetzt aber deine Vergangenheit gesehen habe, kann ich mir sicher sein, dass das nicht stimmt.“ Daraufhin fühlte sich der Mann gezwungen sich zu rechtfertigen: ?Wie du gesehen hast, bin ich ein Kind der Revolution. Ich lebe durch das Schwert und werde durch das Schwert umkommen. Nur wei? ich, im Gegensatz zu den Tiboren, wo es besser ist das Schwert anzuwenden und wo nicht. Ich spreche aus Prinzip die Wahrheit. In Situationen, wo es besser ist zu schweigen, werde ich eher das tun, als dass ich Dinge sage, die zwar wahr sind, die mir aber eher schaden, wenn ich sie ?u?ere.“
Sein nerv?ser Gespr?chspartner antwortete: ?Bitte nimm das nicht pers?nlich! Tut mir total leid, dass ich dich jemals bezweifelt habe!“ – ?Ich hab doch schon gesagt, dass die Sache gegessen ist. Alles ist in Ordnung zwischen uns, Wenzel. Wir m?gen zwar vom Charakter her recht unterschiedlich sein, doch ich kann dich wirklich leiden. Du bist bescheiden und demütig, aber auch jemand der immerzu an sich arbeitet. Das sind definitiv Eigenschaften einer tugendhaften Person. Aber durchsetzungsf?hig bist du mal garantiert nicht.“ Da war der Junge dann erleichtert. Nun verstand er auch, warum Theodor ihm bei ihrem Treffen mit den Altgl?ubigen damals die Chance gegeben hatte, bei den M?rtyrern zu bleiben, anstatt von der Kommune ?erzogen“ zu werden. Der Mann hat dies getan, weil er in seiner Vergangenheit auch von selbst zum Glauben und zu dem, was er als ?die Wahrheit“ empfand, gefunden hatte. Er war überzeugt davon, dass Wenzel eigenst?ndig und nicht nur eine Marionette war. Folglich fiel ihm aber eine Frage ein, die August betraf: ?Also ist August jemand, der hier Unmut zwischen uns stiftet. K?nnte das nicht bedeuten, dass eigentlich er derjenige ist, der insgeheim andere Pl?ne hat, als nur die, die er vorgibt zu haben?“ Ein ganz leichtes Zucken ging dem Feldmarschall da über die Lippen. Dann entgegnete er:
?Ja und nein. Ich kenne August sehr gut. Es überrascht mich nicht mal, dass er dir solche Dinge gesagt hat.“ Dann holte er zu seiner Kernaussage aus. ?August ist durchtrieben, aber er ist kein Verr?ter. Seine Familie wurde vom Regime ermordet. Ich kann dieses Gefühl sehr gut verstehen. Der Mann hat eine ausgezeichnete Bildung erhalten, da er aus gutem Hause war. Seine F?higkeiten sind uns von gr??tem Nutzen, daher w?re es dumm jemanden wie ihn, nur weil er intrigant agiert, aus der Organisation zu beseitigen. Ich wei?, dass er einen tiefen Hass gegenüber der Alethischen Kirche hat. Dieser Hass bestimmt sein Handeln und ist der Grund, weswegen er den M?rtyrern beigetreten ist. Seine Ziele sind dieselben, wie die der Organisation, n?mlich der Sturz der Usurpatoren und die Wiedereinsetzung einer gottgewollten Ordnung in Ordanien und folglich in ganz Kaphkos.“
Wenzel blickte ihn an und signalisierte Theodor, dass er ihn verstanden hatte. Der Chef ihrer Organisation fuhr aber noch fort: ?Aber mir sind seine manipulativen Methoden durchaus bekannt. Er hat sie auch genauso bei mir schon angewandt. Um ehrlich zu sein, versucht er das immer und immer wieder. Nur bei?t er bei mir leider auf Granit! Ich bin nicht leicht zu t?uschen. Eines solltest du dir hierbei aber bewusst sein, Wenzel. August intrigiert hier, um Kontrolle über andere ausüben zu k?nnen und um damit seine eigene Macht auszubauen. Das ist eine Hilfreiche Herangehensweise, um seine eigene Position zu st?rken. All das ist aber nur machtpolitisches Kalkül. Mach dir also keine zu gro?en Sorgen. Nichts davon ist zu Ungunsten der Ziele des Widerstands. Diese will August in selbem Ma?e, wie ich und wie wir alle, erreichen.“ Damit hatte Theodor den Jungen nun endgültig überzeugt, dass er der Organisation vertrauen konnte. Dieser Kelch war an ihm nun vorübergegangen. Der Anführer des Widerstandes war aber immer noch nicht fertig mit seinen Ausführungen.
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?Leider muss ich akzeptieren, dass er sich des ?fteren etwas in den Kopf gesetzt hat und dies umsetzt, obwohl ich ihm klar gesagt habe, dass wir das nicht so machen. Zum Beispiel will August die Reichweite der Organisation erh?hen, indem er den Bauern die Abschaffung der Leibeigenschaft verspricht. Ich war gegen diese Idee, aber indirekt hat er diese Botschaft trotzdem propagiert. Er ist der überzeugung, dass dies hilf. Natürlich hat er recht damit, dass es mehr Leute anzieht, doch Lug und T?uschung sind Methoden, die ich verabscheue. Sie m?gen clevere und hilfreiche Werkzeuge sein, doch ich lehne sie ab. August hingegen will das volle Spektrum des uns M?glichen ausnutzen. Das wird nichts daran ?ndern, dass die M?rtyrerbrigaden davon überzeugt sind, dass jeder Mensch seinen von Gott bestimmten Platz in der Gesellschaft hat. Wir wollen nicht den Zusammenhalt der Gesellschaft und ihre soziale Organisation, die seit Jahrhunderten so Bestand hat, ver?ndern. Was für uns z?hlt, ist, dass wir eine Welt erschaffen, in der Gott im Zentrum steht.
Viele der Versprechen von ?F?deralismus“ sind dabei aber durchaus ernst gemeint. Ohnehin kann man ein Land nicht ausschlie?lich vom Herrschaftssitz aus zentral regieren, so sehr man es auch wollte. Alle V?lker sollten sich selbst verwalten k?nnen und ihre nationalen Eigenheiten behalten dürfen. Dies ist auch die pragmatische Herangehensweise, sogar August stimmt mir da zu. Dennoch sollten alle unter dem Schirm des ?Reiches“ sein. Dadurch würde sichergestellt werden, dass die V?lker von Kaphkos sich künftig nicht mehr gegenseitig sinnlos bekriegen, sondern gemeinsam in Frieden leben. Kriege schaffen nur Leid und Zerst?rung und bringen uns auf einer permanenten Basis nichts Gutes.“ – ?Fast schon ironisch, wenn man bedenkt, dass wir die st?rkste Triebkraft des bewaffneten Widerstands sind, meinst du nicht?“ Das entlockte Theodor ein kleines L?cheln.
?Die Vorstellung, dass die V?lker von Kaphkos ?frei“ sein k?nnen, also ohne eine zentrale Autorit?t, die alle in Zaum h?lt und verhindert, dass sie in kleinstaatliche Streitereien verfallen, ist nur eine Fantasie. Alles, was dies bewirken würde, w?re eine Verewigung des Hasses zwischen ihnen, anstatt eines friedlichen Zusammenlebens.“ Wenzel hatte hier nichts zu entgegnen. Er hatte sich über all das bisher nie so genau Gedanken gemacht. Er wusste nur eines und das war, dass die M?rtyrerbrigaden diejenigen waren, die ihn nicht tot sehen wollten. Das war das Wichtige für ihn. Diese lange Unterhaltung in Kombination mit dem vorangegangenen Blick in Theodors Erinnerungen hatte den Burschen nun aber schon ziemlich ermüdet. Und sein Gegenüber erkannte das. Er beendete das Gespr?ch und die beiden verlie?en das Zimmer. Im Wohnzimmer wartete bereits Irnfrid auf sie. ?Ich hab uns Tee gemacht. Setzt euch her und trinkt“, sagte sie w?hrend sie schon das genannte Getr?nk von ihrer Kanne in die Tassen füllte. Es w?re unh?flich gewesen dies abzulehnen.
Als die drei dann gemeinsam am Tisch sa?en, herrschte relative Ruhe. Die beiden M?nner schwiegen, da sie definitiv schon recht ausgepowert von dem, was sie heute gemacht hatten, waren. Irnfrid erbob aber die Stimme: ?Du, Wenzel! Wie ist das eigentlich mit deiner Magie? Was kannst du alles machen?“ Der Junge war durchaus bereit ihre Neugierde hier zu befriedigen. Gegenüber seinen Freunden hatte er ohnehin keine Geheimnisse. ?Also ich kann fliegen, Gegenst?nde schweben lassen, Gedanken lesen und Visionen von der Zukunft sehen. Was meine Visionen angeht, hab ich aber keine Kontrolle darüber. Au?erdem, hatte ich jetzt schon ?fters Momente, die ich vorausgesehen habe, aber nicht verhindern konnte, weil ich keine Ahnung hatte WANN genau so passieren würden.“ Die Dame h?rte ihm fasziniert zu. Die Fr?hlichkeit, die sie ausstrahlte hob die Stimmung aller im Raum, allein schon durch ihre Anwesenheit.
?Aber eigentlich wei? ich gar nicht was ich sonst noch so machen kann. Niemand hat mir jemals irgendetwas dazu gesagt oder sagen k?nnen. Eigentlich würde ich sogar sehr gerne wissen, was Magie wirklich alles kann.“ Als Wenzel das erz?hlte, fiel ihm aber etwas ein und er fragte den Feldmarschall: ?Ich habe mir sagen lassen, dass sich in der Bibliothek von Meglarsbruck Wissen über Zauberei finden l?sst, altes Wissen, das von den Melgarionen zusammengetragen wurde. W?re es m?glich, dass man mich dort irgendwann einmal einschleust? Nicht unbedingt jetzt und sofort, aber irgendwann einmal, wenn sich die M?glichkeit bietet.“ Theodor hob seine Augenbrauen und dachte kurz nach. Dann erwiderte er: ?Ich glaube, dass das einfach zu riskant w?re. Ich würde nicht die Sicherheit oder sogar das Leben des Erkorenen in Gefahr bringen, nur um an Wissen zu gelangen.“ Daraufhin senkten sich Wenzels Mundwinkel vor Entt?uschung. Der Mann fügte daraufhin hinzu: ?Ich sag dir eins: Wenn wir diese tyrannische Dynastie gestürzt haben, dann wirst du so oft in die Bibliothek gehen k?nnen, wie du willst. Wir werden dich zum Kaiser machen und dann hast du freien Zugang zu allem, was du willst in Ordanien.“
Es war nun weniger Theodors Vorschlag, der ihn nun erschreckte, sondern mehr die Worte, die er benutzt hatte. Der Vorschlag machte Sinn und Wenzel stimmte mit ihm überein. Das erste Mal war er sich nun tats?chlich bewusst geworden, dass diese Leute ihn zum Herrscher des Landes machen wollten. Dieser Gedanke machte ihm Angst. Er wusste, dass er nicht klug genug dafür war, doch gleichzeitig wusste er auch, dass dies für die Revolution?re nicht zur Debatte stand. Den beiden anderen am Tisch fiel sein Anflug an Nervosit?t durchaus auf.
Als er schlie?lich seinen Tee ausgetrunken hatte, verabschiedete sich der Bursche freundlich und wünschte dem Paar noch eine gute Nacht. Als er zur Haustür hinausging, konnte er allerdings die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne erblicken. Brahm, der ganz offenbar auch die ganze Nacht aufgeblieben war, kam an ihn heran und sagte: ?Ich wei? zwar nicht, was ihr so lange besprochen hab, aber ich werde nicht auf unser Training verzichten!“ – ?Oh, Gott!“, dachte sich der Junge da nur. Das würde ein sehr anstrengender Tag werden….