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011.2 Die Geschichte eines Kriegers (Teil 2)

  Und schon verschwand diese Erinnerung wieder im Nebel und die n?chste manifestierte sich. Es war ein sonniger Tag unter einem wolkenlosen Himmel. An der Berglandschaft war zu erkennen, dass wir uns immer noch in Kascharovar befanden. Es war ein gro?er offener Platz auf einer Wiese. Eine Anzahl an Tischen und B?nken war aufgestellt, die nach vorne in Richtung einer kleinen h?lzernen Bühne angeordnet waren. Die G?ste der Veranstaltung trugen alle recht simple, praktische Kleidung, keine Felle mehr, da diese aufgrund der Jahreszeit zu warm w?ren. Und allen war die Rauheit des Landes ins Gesicht geschrieben. Auf ihren Gew?ndern waren primitiv aussehende milit?rische Abzeichen zu erkennen. Viele der Anwesenden bevorzugten es offenbar zu stehen, anstatt zu sitzen, und unterhielten sich in Gruppen. Von den zwei gr??ten Gruppen war eine um einen Mann geschart, den Wenzel nicht kannte. Der andere war Theodor, damals als Kalev bekannt. ?Das ist die gr??te Ehre überhaupt! Du bist schon was Besonderes, Kalev!“, sagte einer derer, die sich mit ihm unterhielten. Der Angesprochene reagierte mit einem breiten L?cheln und bedankte sich für die Komplimente. Das war ?u?erst ungew?hnlich, zumindest für den Theodor, der Wenzel bekannt war.

  Schlie?lich begann das eigentliche Event. Der Herr, um den vorhin so viele Leute versammelt gewesen waren, trat auf die Bühne und bat alle um ihre Aufmerksamkeit. Die G?ste setzten sich an ihre Tische und es wurde ganz still. ?Meine Herrschaften, ich m?chte Sie hier heute zur Feier zum Aufstieg dreier unserer Mitstreiter begrü?en!“ Die Menge klatschte. ?Ganz besonders zu vermerken ist hier unser Kollege Kalev, der als jüngster Mann aller Zeiten in den Rang des Generalbagaturs heute aufsteigt.“ Wilder Applaus folgte. Der Redner wartete, bis der Aufruhr sich beruhigt hatte und fuhr dann fort. ?Ganz im Geiste unserer gro?en Ahnen hat er sich mit Z?higkeit und Anstrengung nach oben gearbeitet. Wir alle sollten uns, wie auch er, ein Beispiel an meinem Vater, Tibor, nehmen und unabl?ssig hart bleiben, nein, sogar noch h?rter und z?her werden! Unserem Vaterland und unseren Vorfahren sind wir es schuldig, dass wir uns der Besatzung widersetzen! Und, wenn es das Letzte ist, was wir tun!“ Das Publikum applaudierte begeistert.

  ?Fünfzig Jahre lang hat mein Vater, Tibor der Eiserne, eine unnachgiebige Kampagne des Widerstands gegen die Ordanischen Eindringlinge geführt! Fünfzig Jahre lang hat es unser Volk es geschafft sich dem neuen Regime Ordaniens nach dem Fall der Melgarionen zu widersetzen! Auch, wenn sie es schlie?lich geschafft haben wieder unsere Hauptstadt und die Tiefl?nder zu besetzen, der Geist unseres Volkes wird niemals sterben! Wir werden dieses Joch abwerfen und wieder frei sein, denn wir haben keine Wahl! Vergesst all diese Wendeh?lse, die schon Jahrzehnte davor den Melgarionen die Stiefel geleckt haben! Jetzt sind sie pl?tzlich ?Alethisch“ oder wie immer die das nennen. Sie lecken immer noch die selben Stiefel, nur die Person die drinsteht ist jetzt halt eine andere!“ Die Zuh?rer lachten. ?Nein! Das kann und wird nicht die L?sung sein. Nur der Widerstand bis zur endgültigen Unabh?ngigkeit kann uns retten!“ Die Anwesenden applaudierten noch enthusiastischer als zuvor.

  Langsam aber begann ein Schleier über diese Szene zu fallen, bis sie letztlich ganz in der Dunkelheit versank. Die n?chste Erinnerung nahm ihren Platz ein. Kalev spazierte durch eine belebte Stadt. Er war nicht allein unterwegs, neben ihm ging einer seiner Kameraden. Beide waren sie aber unauff?llig gekleidet. Sein Begleiter begann zu sprechen: ?Ich kann es kaum fassen. Unser Land und unser Volk werden untergehen, wenn das so weitergeht!“ – ?Nicht unbedingt“, antwortete Kalev. ?Es wird sich nur massiv ver?ndern. All die Jahre, die ich in den Bergen mit den Unseren verbracht habe, haben mich aber auch dich glauben gemacht, dass diese Fremden von allen au?er den Eliten ablehnt und gehasst werden. In den St?dten scheint dies wohl doch anders zu sein.“ Die beiden passierten eine Menge Leute. Immer wieder sah man welche, die eine Triquetra, das Symbol des Teleiotismus, als Anh?nger um den Hals trugen.

  Als sie weiterschritten, konnte man pl?tzlich das Blasen der Posaunen vom ?rtlichen Tempel h?ren. Es war der Aufruf zum Gebet und zur Messe. Die zwei Widerstandsk?mpfer warfen einen feindseligen Blick zum Gotteshaus hinüber, drehten sich dann aber wieder um und gingen weiter. ?Immer mehr nehmen diese fremden Gebr?uche und die fremde Religion an. Die Missionare sind überall! Sogar die Altgl?ubigen operieren hier im Untergrund. Soviel ich wei?, folgen denen sogar deutlich mehr als den Alethischen.“, beschwerte sich sein Kollege. Kalev erwiderte: ?Ja. Ich glaube aber, dass ich mir selbst anschauen werde, worum es hier geht. Um einen Feind einsch?tzen zu k?nnen, muss man mit seiner Gedankenwelt vertraut werden.“ – ?Bist du dir da sicher, Bruder?“ – ?Ja. Ganz sicher.“ Auf ihrem Streifzug liefen die zwei einem Prediger über den weg, der sich etwas betucht hielt. Kalev ging von sich aus auf diesen zu und sprach ihn an. Dann lie? er sich von ihm eine Ausgabe des sogenannten Testaments geben. Es war die Version der Melgaristen. ?Mal schauen, was es mit all dem auf sich hat.“

  Erneut brach die Dunkelheit über diese Geschehnisse herein. Die N?chste Vision aus Theodors Vergangenheit folgte. Kalev sa? allein in einem Raum und las das Buch, dass er erhalten hatte. Durch seinen Kopf gingen in diesem Moment allerlei Gedanken, die Wenzel auch h?ren konnte. Er begann an der Tradition der Ahnenverehrung, mit der er aufgewachsen war, zu zweifeln. Es war bereits einiges an Zeit vergangen und er hatte das Testament schon mehrere Male durchgelesen. Auf vielen Ebenen sprach es ihn an. Für ihn fassten die Botschaften darin Wahrheiten in Worte, Wahrheiten die er selbst nie ergründet hatte oder konnte.

  ?Ich war gefangen in diesen engen Grenzen des für mich M?glichen. Die Leere in mir war erfüllt von schmerzhaften Wunden, die nicht zu heilen vermochten. Ich konnte mich ihr nicht widersetzen. Sie gab mir die t?gliche Dosis von etwas, das ich meine Seele nannte. Losgel?st von meinem selbst, gebrochen und au?er Kontrolle war sie. Dies n?hrte lediglich meinen Zorn und erh?hte meine Pein. Jene Tage verbrachte ich alleine, im Herzen alleine. Vergeblich versuchte ich zu begreifen, dass es keinen Grund mehr gab dagegen anzuk?mpfen. Schlie?lich offenbarte sich mir, wonach ich so lange gesucht hatte. Ich fand den Ort, nach dem ich so lange gesucht hatte, wo ich wirklich hingeh?re. Meine Welt war leer und ohne jede Fantasie. Es gab kein richtig und falsch. Diese Realit?t war ausweglos für mich. Als ich mich Gott hingab, existierten pl?tzlich richtig und falsch, Gut und B?se. Die Welt hatte einen Sinn bekommen. Das Leben hatte einen Sinn bekommen. Und dieser Sinn war nicht nur blanke Rachsucht. Lange konnte ich die Stimmen in meinem Kopf nicht verstehen, die versuchten mir zu sagen: ?Du bist nicht allein. Wir alle warten auf dich im ewigen Leben." Stimmen summten in meinem Kopf: ?Du hast dich bis jetzt nur selbst angelogen. Diese Welt ist nichts weiter als der n?chste Schritt. Bereite dich jetzt auf deinen Heiligen Krieg vor. Schreite voran und schau niemals zurück."

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  Kalev hatte begonnen zu glauben. Er wusste, dass dies zu Konflikten mit den Anführern das Kascharischen Widerstandes führen würde, früher oder sp?ter. Sie hassten die Ordanier und alles, was diese mit sich brachten. Das bezog die Religion mit ein. Und das, obwohl der Teleiotismus eigentlich ursprünglich aus Camenia stammte. Kalev strich sich nachdenkend über den Bart. Seine überzeugungen standen nun im Widerspruch zu seiner Rolle hier bei denen, die die Ordanier die ?Horden“ nannten. Doch er würde niemals Kompromisse eingehen, zumindest nicht was seine innersten überzeugungen anging.

  Die Szene schwand langsam dahin, bis wir wieder in vollkommener Finsternis waren. Der Vorhang ?ffnete sich zur n?chsten Erinnerung. Es war offenbar Frühling und alles herum blühte und erwuchs in saftigem Grün. Einige Hochrangige vom Kascharischen Widerstand waren versammelt. Ihnen gegenüber stand Kalev mit einer ganzen Truppe an M?nnern hinter ihm. Der Mann in der Mitte der offenbar von Kalev angesprochen worden war, lief hochrot an.

  ?V?llig ausgeschlossen! Fremde G?tter haben in unseren Reihen nichts zu suchen. Mein ehrwürdiger Vater und alle die vor ihm kamen würden sich im Grabe umdrehen!“, warf er dem Bittsteller entgegen. Den Nachfahren des Eisernen entgegnete Kalev mit einem ebenso eisernen Gesichtsausdruck. Unerschütterlich sagte er: ?Wir sind ein Volk! Wir geh?ren zusammen. Aber ihr müsst erkennen, dass die Zeiten sich ge?ndert haben. Geht doch einmal hinab in die St?dte Kascharovars. Ihr werdet sehen, wie sehr sich die Denkweise des Volkes gewandelt hat. Dieser Wandel ist nicht aufzuhalten und erst recht nicht umzukehren. Die Welt ist in stetem Wandel und so ist es auch unser Heimatland. Die Zeit bleibt nicht stehen, meine ehrwürdigen Herren. Die Tiboren haben die Geschicke des Widerstandes für eine sehr lange Zeit nun bestimmt. Es gibt kaum jemanden, der sich an eine Zeit vor eurem Geschlecht erinnern kann.“

  Die Anführer des kascharischen Widerstandes schauten ihn verdutzt, aber trotzig an. ?Habt ihr euch mal überlegt, dass es vielleicht einen Grund dafür gibt, dass wir verloren haben und immer schw?cher im eigenen Land werden? Wenn ihr andere Perspektiven zulassen würdet, andere Glaubenspraktiken akzeptieren würdet, dann würde uns das neuen Schwung geben und nicht zu einer Konfrontation mit unserer eigenen Bev?lkerung, n?mlich denjenigen, die zum Teleiotismus übergetreten sind, verdammen! Wenn ihr tats?chlich wieder an die Macht kommen würdet, was würdet ihr dann mit denen machen, die nicht so denken, wie ihr? Wollt ihr dann die halbe Bev?lkerung massakrieren?“ Die Tiboren wollten jedoch nicht davon h?ren. ?Scher dich zum Teufel!“, schrie ihn der Erbe Tibors an. ?Verr?ter und Befehlsverweigerer werden hingerichtet, das wei?t du ganz genau!“ Kalev antwortete mit ruhigem Gemüt: ?Dann schlage ich Folgendes vor: Wenn ich dich um Zweikampf schlagen kann, l?sst du mich und meine Anh?nger ziehen.“

  Das war ein sehr kluger Vorschlag. Er würde ?den Horden“ die gro?en Verluste ersparen, die dieser interne Richtungskampf mit bringen würde. Au?erdem w?re es ehrensch?digend für den Obersten Anführer der Kascharen gewesen eine Herausforderung zum Duell abzulehnen. Er akzeptierte. Somit stellten sich die beiden gegenüber voneinander auf und zogen ihre Schwerter. Ein Schiedsrichter rief laut: ?Achtung, fertig, los!“ Die beiden sprangen aufeinander los.

  Kalev holte zu einem Schlag von oben aus, doch zog dann zurück, um dem Stich seines Widersachers auszuweichen. Er lie? seine Stellung recht offen, um einen weiteren Angriff zu provozieren. Dieser lie? nicht auf sich warten. Kalev parierte und erwischte seinen Gegner am linken Unterarm. Dieser st?hnte kurz leicht und machte einen Schritt zurück. Kalev ging zum Angriff über. Er deutete einen weiteren Angriff von links an, ?nderte dann aber blitzschnell seinen Angriff zu einem Tritt. Der Sohn Tibors stolperte und viel auf den Boden. Als er nach oben schaute, war das Schwert seines Herausforderers, der über ihm stand auf ihn gerichtet. Er hatte verloren. Für Kalev war dieser Kampf nichts Besonderes. Er hatte noch nie einen Kampf verloren, zumindest keinen, der nicht reines Training war. Für den Tiboren war es da anderes. Er war zutiefst besch?mt. Seine Ahnen würden ihm diese Niederlage niemals verzeihen.

  Doch gab es nichts was er machen konnte. Er hatte sein Wort vor der versammelten Truppe gegeben. Es zu brechen, w?re eine reine Schande. Er musste Kalev und seine M?nner nun gehen lassen. Mit dem üblichen emotionslosen Gesichtsausdruck sagte der Mann seine Abschiedsgrü?e. ?Meine Herren, auf ein Wiedersehen! Aber, wenn dieser Tag kommt, werden die Umst?nde ganz andere sein. M?ge bis dahin Gott, das kascharische Volk schützen!“ Er und seine Anh?nger sattelten die Pferde und ritten los. Die Reise ging gen Westen, weg aus ihrer Heimat. Die wahre Schlacht um die Zukunft Kascharovars würde nur in Ordanien und auf Seiten der Altgl?ubigen zu schlagen sein, davon war Kalev, dessen Name demn?chst Theodor sein würde, felsenfest überzeugt.

  Theodor hatte etwas festgestellt, was die Tiboren zu stur waren einzusehen. Die ideologische Grundlage ihrer Herrschaftslegitimation erodierte im Angesicht der zunehmenden Konversion der Kascharen zum monotheistischen Teleiotismus. Lediglich milit?rische Erfolge würden somit dauerhaft ihre Herrschaft legitimieren k?nnen. Dies würde aber nicht passieren. Sie waren in der Defensive und es gab keinen Weg hinaus aus dieser Sackgasse. Sie waren zum Untergang verdammt.

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