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4.2 Alinas Not

  Das n?chste, was Alina klar wahrnahm, waren grüne Hügel und Berge. Dann die kalte Luft, die ihr ins Gesicht schlug. Wo war sie? Alina blinzelte. Um sie herum war alles blau. Etwas zog sie nach unten. Wie ein Brocken fiel sie Richtung Boden. Sie japste laut, schl?ngelte sich in der Luft, doch sie fiel immer schneller. Hitze, sie brauchte die Hitze. Woher war sie nochmal gekommen? Alina bl?hte ihren Bauch auf. Da, sie spürte etwas Warmes. Es rauschte leise, doch sie fiel weiter, wenn auch nicht mehr so schnell. Trotzdem prallte Alinas K?rper gegen den Boden und ein Schmerz, wie tausende von Schwertstichen fuhr entlang ihrer Wirbels?ule. In ihren Ohren schellte und piepste es.

  Alina brauchte ein paar Augenblicke um wieder zu sich zu kommen. Mühsam zog sie ihre Lider hoch. Hellgraue Wolken bedeckten den Himmel. Ein paar Nadelb?ume standen um sie herum. Felsen ragten aus dem grünen Boden heraus. Ihr ganzer K?rper pochte. Doch Alina war noch am Leben. Wie, war ihr ein R?tsel.

  Behutsam regte sie ihre Glieder. Es schien nichts gebrochen zu sein. Mehrere Pfeile steckten in ihrem K?rper fest. Die Schnittwunde an ihrer Schulter brannte, als sie ihren Hals streckte um die Pfeile mit ihrem Maul rauszuziehen. Unter Schmerzen zog sie drei der Pfeile heraus und lie? sie auf das Gras fallen. Woraus waren die Spitzen gemacht? Au?er die Krallen und Knochen von Feuerv?geln, kannte Alina kein Material, das den Drachen etwas anhaben konnte. Und es gab im Kaiserreich keine Feuerv?gel. Die Pfeilspitze hatte eine br?unlich wei?e Farbe. Sie schnupperte daran. Der Geruch kam ihr bekannt vor.

  Vorsichtig tastete sie den Stein mit ihrer Zunge ab und zog erschrocken den Kopf zurück. Ihr Fell str?ubte sich. Ihr Instinkt verriet sofort die Antwort. Drachenknochen. Oder Klauen. Alina wollte es gar nicht genau wissen. Galle gurgelte ihre Kehle hinauf. Sie spuckte einen dunkelroten Strahl aus. Entsetzt starrte Alina den Fleck an. Dann fiel es ihr wieder ein. Der abgerissene Kopf. Die Schreie. Der schwere Geschmack von Blut lag auf ihrer Zunge.

  Alina wimmerte, würgte, sammelte Speichel und spuckte. Wieder und wieder. Doch der Geschmack ging nicht raus. überall waren dunkelrote Spritzer im Gras. Wasser, sie brauchte Wasser um den Geschmack loszuwerden. Alina musste immer wieder ihre brennenden Augen schlie?en, um den Druck zu lindern. Es fühlte sich an, als würden ihre Aug?pfel platzen, w?hrend Alina die schreckliche Tatsache bewusst wurde. Sie hatte einen Menschen umgebracht. Sie war nicht nur ein scheu?liches Ungeheuer, sondern auch eine M?rderin.

  Schwer atmend schleppte Alina sich voran. Immer wieder spuckte sie ins Gras, wenn der Geschmack auf ihrer Zunge zu stark wurde. Solange, bis sie endlich einen Wasserfall fand, der zwischen himmelgraue Felsen in einen See mündete.

  Mit einem weiten Satz, sprang sie hinein. Die K?lte floss entlang des langen Drachenk?rpers und d?mmte ihre Schmerzen. Gierig saugte sie das Wasser ein, lie? das kühle Nass den metallischen Geschmack aus ihrem Mund wegspülen. Dann tauchte sie unter, in der Hoffnung, mit Hilfe der K?lte die grauenvollen Bilder zu vertreiben. Fische schwammen erschrocken zum Seeboden und verkrochen sich zwischen Pflanzen und Steine. Alle Schmerzen schienen verflogen zu sein. Sie genoss das bet?ubende Gefühl und blieb so lange unter Wasser, bis ihre Lungen brannten.

  Als sie wieder auftauchte, trank sie noch mehr, bis der Blutgeschmack ganz aus ihrem Maul verschwunden war. Erst dann schwamm Alina zurück ans Ufer und schüttelte das Wasser von ihrem Fell. Die Wunden schmerzten nicht mehr, auch die Last in ihren Glieder war verschwunden. Dafür knurrte Alinas Magen. Sie schluckte schwer und starrte die Fische an, die sich langsam wieder der Wasseroberfl?che n?herten. Ein Lagerfeuer zu entfachen war in ihrer jetzigen Gestalt ausgeschlossen. Und der Gedanke sie roh zu essen, jagte ihr einen Schauer ein.

  ?Hallo.?

  Alina sprang erschrocken auf und stolperte über ihre eigenen Beine. Sie fing sich im letzten Augenblick auf und drehte sich zu der Stimme um.

  ?Keine Angst. Ich will dir nichts tun.?

  Ein Drache stand vor ihr. Ein sehr kleiner Drache. Mit gro?en, grünen Augen sie neugierig anstarrten. Er war bedeckt mit strahlend wei?em Fell. Und er sprach. Mit einer Kinderstimme.

  


  


  ?Du bist fast genauso klein wie ich! Bist du auch ein Kind??

  Der kleine Drache setzte sich auf die Hinterbeine und legte seinen Kopf schief. ?Kannst du nicht sprechen?? Der Drache schnupperte in der Luft. ?Du riechst noch sehr stark nach Mensch. Wurdest du gerade eben gebissen??

  Vor Verblüffung v?llig erstarrt, fragte Alina sich, ob sie Wahnvorstellungen hatte. Fieberhaft ging sie ihre Erinnerungen von der Ausbildung durch. Nie hatte sie von sprechenden, wei?en Drachen geh?rt.

  ?Hm. Du scheinst wirklich nicht sprechen zu k?nnen. Ich bin Gilwa. Ich bin schon seit zwei Jahren ein Drache und ich lebe zusammen mit Lenius und seiner Truppe. Wir sind alle Drachen.? Vorsichtig kam Gilwa n?her. Die gro?en Augen und der schmale Kopf gaben ihm das Aussehen eines Welpen. Statt vor ihm zurückzuschrecken, beugte Alina neugierig ihren Hals um ihn n?her betrachten zu k?nnen.

  ?Kannst du dich schon zurückverwandeln? So?? Der kleine Drache schrumpfte. Das Fell verschwand. Der K?rper wurde kürzer. Das Gesicht runder. Bis ein kleiner, nackter Junge vor ihr stand. Mit braunen Haaren und grünen Augen.

  Alina schüttelte den Kopf und blinzelte, doch der Junge, der gerade eben noch ein Drache gewesen war, stand immer noch vor ihr. Sie ging auf ihn zu. Beschnupperte ihn. Be?ugte ihn von allen Seiten.

  ?Haha. Sag blo?, du wusstest nicht, dass wir uns verwandeln k?nnen? Ich hab es von Lenius gelernt! Ich bin ganz schnell darin, guck!? Gilwa stellte sich auf allen Vieren und krümmte seinen Rücken. In einem Augenschlag war er wieder ein Drache. ?Ich bin sogar ein wei?er Drache! Genau wie Lenius! Er ist sehr nett. Brauchst du Hilfe? Ich kann ihn herholen. Er kann dir bestimmt auch beibringen, wie man sich verwandelt. Wenn dich die anderen finden, werden sie dich wahrscheinlich angreifen, weil du so komisch riechst.?

  Alinas Fell str?ubte sich. Sie wollte es auch. Sprechen. Und sich verwandeln. Sie ?ffnete ihr Maul, doch es kam nur das bekannte Japsen heraus.

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  Die Augen des kleinen Drachens weiteten sich, sein Blick fuhr hoch. ?Oh nein! Riechst du das? Das sind die anderen. Sie kommen!?, flüsterte er und duckte ?ngstlich seinen Kopf. ?Schnell, du musst verschwinden!?

  Fünf Drachen schossen durch den Himmel auf sie zu. Es war zu sp?t um zu fliehen. Alina stellte sich dicht neben den kleinen Drachen hin, als die anderen mit einigem Abstand zu ihnen, in der N?he des Sees landeten. Alle waren grau. Bis auf den gr??ten Drachen, der die anderen um zwei K?pfe überragte. Sein Fell war fast schwarz. Er knurrte sie an, mit Fangz?hnen die so gro? waren wie ihre Krallen. Seine Augen waren blutunterlaufen.

  ?Gilwa, wir suchen schon seit drei Stunden nach dir!? Ein hellgrauer Drache schritt auf den Jungen zu und bleckte die Z?hne.

  ?Ihr habt doch gesagt, dass wir Verstecken spielen! Also habe ich mich versteckt.?

  Der Hellgraue knurrte leise. Dann warf er Alina einen misstrauischen Blick zu. ?Wer ist das? Wieso riecht dieser Drache so komisch?? Ein zweiter Drache trat auf sie zu, packte Gilwa am Nacken und zog ihn mit sich zum See. Alina senkte ihren Kopf und ging den beiden hinterher, da stellte sich der hellgraue Drache ihr in den Weg.

  ?Bleib zurück! Mein gro?er Freund da hinten ist nicht leicht zu beherrschen. Reiz ihn nicht weiter?, warnte der Hellgraue. Der dunkelgef?rbte Drache der hinter den anderen aufragte, hatte immer noch seine Z?hne gebleckt und knurrte tief.

  ?Der riecht wirklich seltsam. Wenn der hier bleibt ...?, rief ein anderer grauer Drache.

  Das Knurren des schwarzen Drachens wurde mit jedem Augenblick lauter. Seine Lippen zitterten und Geifer floss aus seinem Mund heraus. Alina duckte sich unterwürfig und winselte leise.

  ?Was ist hier los??, donnerte es von oben auf sie herab. Alle Drachen au?er Alina traten zur Seite. Selbst der schwarze Drache schloss sein Maul und starrte mit angelegten Ohren nach oben. Geschmeidig wie eine Feder landete ein weiterer Drache in der N?he des Wassers. Er war riesig, gr??er als der Schwarze. Sein, langes, wei?es Fell schimmerte wie Perlmutt. Zwei H?rner ragten aus seinem schlanken Kopf heraus. Die blauen Augen glitten über die Drachen, bis sie an Gilwa h?ngen blieben, der immer noch im Maul des Drachens hing.

  Der kleine Drache schüttelte sich und der Graue lie? ihn frei. Sofort preschte er auf den neuen Drachen zu. ?Lenius! Ich habe einen neuen Drachen gefunden! Er ist ganz klein, fast so wie ich!?, rief Gilwa und schmiegte sich wie eine Katze an sein Bein. Dann lief er zu Alina.

  Der wei?e Drache schritt auf sie zu und beugte seinen langen Hals zu ihr hinunter. W?hrend die blauen Augen Alina betrachteten, drückte sie sich noch tiefer ins Gras hinein.

  ?Er riecht komisch, Lenius. Das gef?llt uns nicht?, erw?hnte der Hellgraue und schnaubte.

  Lenius schnupperte sie an, dann riss er die Augen auf.

  ?Du bist ja-? Er r?usperte sich und drehte sich hastig zu den anderen um. Alina verbarg sich hinter seiner riesigen Gestalt, sodass sie die anderen Drachen nur noch h?ren konnte.

  ?Ich kümmere mich um diesen Drachen. Kehrt zurück zur Burg?, befahl Lenius.

  Die anderen tauschten verwirrte Blicke aus. Schlie?lich nickte der Hellgraue und sprang hoch in die Luft. Die anderen folgten ihm, bis auf Gilwa und dem schwarzen Drachen.

  ?Gilwa. Zurück zur Burg?, bellte Lenius.

  ?Aber, ich will hier bleiben. Ich will auch mit dem neuen Drachen reden.? Da packte der schwarze Drache Gilwa mit seinen zwei Pranken und flog davon. Gilwa winselte, doch er lie? sich still von dem gr??erem Drache davontragen. Lenius knurrte leise, sah ihnen missmutig hinterher, dann erst wandte er sich wieder Alina zu.

  ?Es ist ?u?erst selten, einen weiblichen Drachen anzutreffen. Meine Bande hat noch nie einen gesehen, oder gerochen. Deswegen sind sie misstrauisch.? Seine Stimme war ernst, doch sein Blick war freundlich genug, dass Alina es wagte ihren Kopf etwas zu heben. Er schnupperte in der Luft. ?Du bist gerade erst verwandelt worden. Kannst du schon sprechen??

  Alina schüttelte den Kopf.

  ?Meine Bande nimmt normalerweise jeden Drachen auf, der noch bei klarem Verstand ist. Aber ich wohne in einer verlassenen Burg voller M?nner. Ich kann dich unm?glich dorthin mitnehmen. Gibt es irgendeinen Ort wo du hingehen kannst und wo du sicher bist??

  Wieder schüttelte sie den Kopf.

  ?Lenius!?, schrie Gilwa von der Ferne. Mit aufgerissenen Augen kam er auf sie zugeflogen, dicht hinter ihm folgte der schwarze Drache. Gilwa zog seinen K?rper spiralf?rmig zusammen, dann schoss er wie ein Blitz direkt auf die Lichtung zu.

  ?Ich hab mich nur von ihm losgemacht! Dann hat er nach mir geschnappt!? Gilwa landete direkt neben Alina.

  Ihr Fell str?ubte sich. Ein übler Geruch wehte ihr entgegen und wurde st?rker, je n?her der dunkle Drache kam. Es roch nach Gift, Blut und Schwefel.

  Lenius knurrte. Sein Knurren wurde immer lauter, dann stie? er einen Laut von sich, der sie bis in die Knochen erschütterte. Ein langgezogenes, r?hrendes Brüllen. Wie ein lauter, heiser Schrei. Alina wich von ihm zurück. Gilwa drückte sich dicht an sie.

  Der schwarze Drache schoss auf Lenius zu, doch bevor er landen konnte schleuderte der wei?e Drache ihn mit einem Schwanzhieb gegen die Felsen des Wasserfalls.

  ?Mach das du von hier verschwindest, oder du verlierst dein Leben!?, brüllte Lenius zu seinem Gegner. Der schwarze Drache zog sich knurrend hoch und schüttelte sich. Dann machte er einen Satz nach vorne, doch nicht auf Lenius zu, sondern auf Alina und Gilwa.

  ?Flieg weg!?, rief Gilwa und sprang hinauf in die Luft. Alina setzte zu einem Sprung an, doch es war zu sp?t. Der riesige Drache traf sie mit voller Wucht und begrub sie unter einer Masse von übel riechendem Fell. Verzweifelt versuchte Alina sich herauszuwinden. Sie befreite sich bis zur Brust, da schoss sein Kopf auf sie herab und bohrte seine Z?hne in ihre verletzte Schulter. Alina brüllte vor Schmerzen.

  Ein Schatten legte sich über sie. Es war Lenius, der den Drachen mit seinen Vorderkrallen packte, ihn hochzog und dann gegen ein paar B?ume schleuderte.

  Alina versuchte sich aufzurichten, doch ihre Schulter brannte so heftig, dass ihr Vorderbein st?ndig einknickte. Sie keuchte, um Luft in ihre eingequetschten Lungen zu pressen. Gilwa packte sie am Nackenfell und zog sie hoch. ?Lauf weg!?, rief der Kleine.

  Alina versuchte die Luft einzuatmen, die in ihre Lungen passten und sah um sich. Gilwa war hoch oben in der Luft. Lenius stürzte sich auf den schwarzen Drachen und wickelte sich um ihn wie eine Würgeschlange. Alina wandte sich ab und hinkte von dem See weg.

  ?Du musst fliegen!?, brüllte Gilwa. Er schwebte in Kreisen über ihnen. ?Füll deinen Bauch mit Dampf! So!? Gilwas komplette Unterseite bl?hte sich auf und zog ihn weiter in die H?he.

  Alina brüllte frustriert. Sie konnte kaum atmen, geschweige denn ihren Bauch mit irgendetwas füllen. Aber sie war geflogen. Was auch immer von ihr Besitz ergriffen hatte, konnte fliegen. Die Hitze die aus ihrer Wunde gekommen war. Sie erinnerte sich an das Seil, das gegen die wunde Stelle gedrückt hatte und wusste was sie tun musste, doch nicht wollte.

  Ein saurer Geschmack lag auf ihrer Zunge. Sie würde die Kontrolle verlieren. Aber hier war es zu gef?hrlich. Alina sah keinen anderen Ausweg.

  Schnell beugte sie sich zu ihrem rechten Bein hinunter. Die Bisswunde war deutlich zu riechen, obwohl sie dicht mit Fell bedeckt war. Der gleiche Geruch, der auch aus dem dunklen Drachen str?mte. Nachdem sie tief Luft holte, biss sie zu. Sofort floss ein hei?er Strom durch ihren K?rper. Alinas Verstand l?ste sich auf, etwas Wildes breitete sich aus. Hei?e Luft str?mte durch ihren Bauch und ihr K?rper wurde leichter. Mit einem Sprung hob sie ab und flog schl?ngelnd an Gilwa vorbei.

  ?Warte!?, rief Gilwa. Doch sie wartete nicht. Alina stürmte an ihm vorbei, immer schneller, immer weiter, bis ihr K?rper sie nicht mehr durch die Luft ziehen konnte. Das letzte, was Alina sah, war ein riesiges Gew?sser. Dunkelblau und glitzernd, ohne Ende. Dann wurde alles schwarz.

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