Als sie endlich zurückkamen, sagte Wenzel den anderen, dass er hinauf in den Stock gehen würde, um ein Bad zu nehmen. Es war zwar erst Nachmittag, also wohl etwas früh für so etwas, jedoch ging es ihm ohnehin nicht darum sich zu waschen. Seine Kopfschmerzen waren bereits sehr übel geworden. Ein Bad zu nehmen, würde ihm jetzt zwar nicht die üblichen Symptome seiner Trennung vom Amulett mindern, aber zumindest würde er sich damit ein wenig davon ablenken k?nnen. Wenzel wollte noch aushalten, bis er zurück in der Schule sein würde, um ?seine Stunde“ mit dem Stein zu haben. Der Grund dafür war, dass Aurel eine ganze Stunde auf ihn aufpassen müsste Das würde diesen überaus nerven, da er sein Zimmer nicht verlassen k?nnen würde, weil die Hausdiener die Wahrheit über Wenzels Umst?nde nicht erfahren durften. Au?erdem wollte Wenzel nicht, dass sein Bruder sieht, dass er fast schon vollst?ndig die Kontrolle mit dem Amulett behalten konnte. Der Junge redete sich ein, heute und morgen noch durchhalten zu k?nnen und das, obwohl er eindeutig schon die Grenze des Für-Ihn-Ertragbaren erreicht hatte.
Er stieg die Treppe hinauf und peilte gleich die Richtung des Badezimmers an. Dann fiel ihm aber ein, dass er in seiner Gedankenlosigkeit vergessen hatte den Hausdienern anzuschaffen, dass sie ihm Wasser hei? machen sollen. Das holte er dann sofort nach und w?hrend das Wasser erhitzt wurde, ging er noch schnell ein Glas Wasser trinken und schaute sich bei der Gelegenheit ein wenig in seinem Elternhaus um. Es hatte sich kaum etwas im letzten halben Jahr, wo er nicht da war, ver?ndert. Ein paar M?gde und ein Butler rannten gesch?ftig an ihm vorbei, w?hrend er im Flur stand. Im Empfangszimmer standen immer noch seine Eltern und Aurel und plauderten über irgendwas. Dann kam Frau Wolke herunter und benachrichtigte ihn, dass sein Bad bereit war. Wenzel ging hinauf und betrat das Badezimmer. Als er sich gerade auszog, fiel ihm aber ein, dass er seinen eigenen Waschschwamm lieber mochte als den, der hier war, und er zog sich schnell nochmal an, um diesen aus seiner Tasche, welche sich in seinem Zimmer befand, zu holen. Wenzel lief hinüber und ging bei der rechten Türe in sein Zimmer. Links war das seines Bruders. Er durchkramte seine Tasche und barg aus dessen Tiefen das gewünschte Objekt.
Als er dann aber wieder auf den Gang hinaustrat, h?rte er die Stimmen seiner Eltern aus Aurels Zimmer: ?……burtstag!“ Als Wenzel das vernahm packte ihn die Neugierde und er schlicht vorsichtig an die Tür heran, um zu lauschen. Was er dadurch mitbekam, entfachte allerdings Eifersucht auf seinen Bruder und Zorn auf seine Eltern in ihm! Er h?rte, wie sie Aurel nachtr?glich sein Geburtstagsgeschenk gaben. Dessen Geburtstag war vor zwei Wochen gewesen. Die Kopfschmerzen des Jungen begannen da noch intensiver zu werden als sie es ohnehin schon waren. Warum ?rgerte es ihn, dass sein Bruder beschenkt wurde? Weil Wenzel, seit er die letzten 3 Jahre auf dem Internat war, keine Geburtstagsgeschenke mehr bekommen hatte, auch nicht im Nachhinein! Und jetzt schenkten sie ihrem ?Lieblingssohn“ einfach etwas hinter seinem Rücken. Sie hatten sogar extra gewartet, bis er ins Bad gegangen war! Er h?rte die drei reden, wusste aber nicht, was Aurel bekommen hatte, nur, dass er sich dafür bedankte. ?Vielen Dank, liebste Eltern! Das w?re aber nicht notwendig gewesen!“, h?rte man ihn von der anderen Seite sagen. In dem Moment sah Wenzel, die Frau Wolke um die Ecke kommen, welche kurz innehielt, als sie ihn an der Tür sah. Wenzel dachte in dem Moment, er w?re aufgeflogen, doch die Dame zwinkerte ihm l?chelnd zu, kehrte um und verschwand in demselben Gang, aus dem sie gekommen war. Was für eine gute Seele!
Er setzte seine Bespitzelung fort. ?Wie sieht es bezüglich Wenzels Umst?nden aus? Du wei?t, was ich meine“, stellte ausnahmsweise seine Mutter ihm die Frage. ?Er ist ein klein wenig aufmüpfiger geworden, aber sonst ist alles wie gehabt. Frau Adele sagt auch, dass er sich im Grunde benimmt“, kam als Antwort zurück. ?Gut. Und du hast den Stein auch sonst immer bei dir, oder?“ – ?Ja, Herr Vater!“ Dann h?rte er, wie sie sich verabschiedeten. In dem Moment sprang Wenzel auf und rannte so schnell wie m?glich in sein Zimmer, um nicht entdeckt zu werden. Mission erfolgreich! Er wurde nicht entdeckt.
Dennoch, eines war nun unvermeidbar: Er würde seinen Bruder wegen dem Amulett belasten müssen. Ihm wurde nun klar, dass er nicht mehr bis morgen aushalten würde. Vielleicht war das jetzt auch nur eine Ausrede, die sich der Bursche für sich selbst machte, um hinüber zu Aurel gehen zu k?nnen und sein Geburtstagsgeschenk zu sehen, das ihn so neugierig machte. Sei es wie’s ist, fünf Minuten sp?ter klopfte er an die Tür seines Bruders und trat, ohne auf eine Antwort zu warten, ein. Dieser, gerade auf dem Bett sitzend, sprang erschreckt auf, als Wenzel hereinkam, und drehte ihm den Rücken zu. Offensichtlich wollte er Wenzel nicht zeigen, was er bekommen hatte. Das Geschenk war in einer Holzschachtel, die Aurel nun fest an sich herannahm, damit Wenzel nicht hineinschauen konnte. ?Was willst du schon wieder?“, fauchte er ihn an. Ich bin wegen meiner Seele hier. Ich halt’s nicht mehr bis morgen aus“, entgegnete Wenzel kurz und knapp. Der ?ltere hatte einen Ausdruck im Gesicht, der es schon von vornherein offensichtlich machte, dass ihn das unglaublich nervte. ?Wirklich, Winzel? Muss das genau jetzt sein?“ Ihm entkam ein entnervtes Seufzen. ?Komm in einer Stunde wieder, okay.“
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Diesmal gab Wenzel aber Gegenrede: ?Warum? Damit du dich derweil noch mit deinem Geburtstagsgeschenk spielen kannst?“ Aurel war einen kurzen Moment überrascht und wurde dann richtig wütend: ?Ach, so ist das, du kleiner Nichtnutz! Hast wohl spioniert!“ – ?Und macht es das okay, dass du immer bevorzugt wirst? Wieso in ich nichts wert? Nur, weil du der ?ltere bist? Oder ist es wegen meinem Fluch? Komm schon, sag’s mir!“ Aurel wandte den Blick kurz ab. Es sah einen Moment lang so aus, als würde er etwas sagen wollen, aber dann kam doch nichts von ihm. Somit fuhr Wenzel fort: ?Zeig mir wenigstens, was du bekommen hast.“ Er griff nach der Holzschachtel, doch Aurel krallte sich an dieser mit aller Kraft fest. Jetzt kochte die Stimmung aufgrund Wenzels aufgestauter Gefühle endgültig über. Er riss an der Schachtel und versuchte sie seinem Bruder mit aller Macht zu entrei?en. Er stellte seine Fü?e anders hin, um einen besseren Stand zu haben, versuchte schubweise anzuziehen, um mehr Schwung entwickeln zu k?nnen und versuchte sogar Aurel umzuwerfen, indem ihr ihm an die Schienbeine trat. Aber es half alles nichts! Aurel war deutlich st?rker und gewann den Kampf. Er stie? Wenzel, sodass er vor ihm auf den Boden fiel. Mit wutentbrannter Miene entkam es Aurel dann: ?Es ist, weil du nicht ihr echter Sohn bist, Junge!“
Wenzel war wie vom Blitz getroffen. Eine Zeit lang starrte er nur noch ins Leere. Jetzt machte alles Sinn. Er sah ja auch ganz anders aus als seine Eltern. Sie hatten nicht mal dieselbe Haarfarbe. Aurel bereute, was er gesagt hatte augenblicklich, man konnte es an seinem Blick erkennen. Doch der Schaden war schon angerichtet. Die Würfel waren gefallen. Wenzel hasste seinen Bruder und er hasste seine Eltern. Und sie hassten ihn. Nun verstand er wieso. Wer würde denn ein verfluchtes Kind lieben, dass nicht mal sein eigenes ist?
Bei der Abfahrt am n?chsten Tag verabschiedete sich Wenzel nicht einmal von seinen Eltern! Und auf der Heimfahrt in der Kutsche sprachen die beiden Brüder kein einziges Wort miteinander. Es war nun einiges zu Bruch gegangen. Durch Wenzels Kopf ging nun sehr stark der Gedanke endgültig wegzulaufen. Er führte ein Leben, das er nicht wollte, mit Leuten, die ihn nicht mochten. Den ganzen n?chsten Tag besch?ftigte ihn das. Jedoch vergegenw?rtigte er sich, was Peter ihm gesagt hatte. Er hatte keinen Ort, wo er hinkonnte. Einfach sich ins Ungewisse aufzumachen, war ihm doch zu riskant. Wenzel würde bleiben. Zumindest einstweilen. Diese Nacht stahl er allerdings wieder das Amulett von Aurel. Und daraufhin begannen auch wieder die Visionen:
Wenzel flog durch einen wolkenlosen Himmel. Unter sich sah er pl?tzlich ein Schachbrett. Dieses hatte nicht die gew?hnliche Anzahl an Figuren. Es befanden sich nur die schwarze K?nigin mit fünf schwarzen Springern darauf und auf der anderen Seite waren ein wei?er K?nig mit einem wei?en Springer auf dem Feld. ?Was für eine ungew?hnliche Aufstellung“, dachte sich Wenzel nur. Bald schon flog er aber durch eine dicke Wolke. Alles um ihn herum wurde dunkel und als er sich wieder besinnen konnte, war er auf einmal woanders.
Er stand inmitten von H?userruinen. Es waren Schreie und Wimmern in der Ferne zu h?ren. Sich umdrehend, trat er mit seinem linken Fu? in eine Pfütze. überall um ihn herum war nur Zerst?rung. Wenzel kannte diese Szene. Er ging zwischen Trümmern hindurch und kletterte über Schutthaufen. Auf den Ruinen sa?en eine Menge Kr?hen, an denen er einfach vorbeiging. Dann aber sah er auf einmal eine riesige S?ule vor sich auf den Boden, deren einzelne Elemente der L?nge nach verstreut lagen. Sie war offenbar umgefallen und an ihrem Kapitell oben, waren aufw?ndige Ornamente zu erkennen. Für Wenzel war sofort klar welche S?ule dies war. Als er dies realisierte, überwand er das zerst?rte Ding und lief auf die breite Stra?e anbei. Von hier aus konnte er Richtung Stadtzentrum sehen. Ja, auch die gro?e Verkündigungskathedrale schien massive Zerst?rung erlitten zu haben! Ihr Hauptturn war eingestürzt. Ringsum waren Feuer und Brandherde zu sehen. Was für eine Katastrophe! Doch noch bevor der Junge über all das nachdenken konnte, h?rte er pl?tzlich eine ihm unbekannte Stimme in seinem Kopf:
?Du bist also hier, alter Mann. Gef?llt dir mein Werk?“
Mit diesen Worten riss es Wenzel abrupt aus seiner Trance und der Traum endete. Er hatte ein sehr übles Gefühl dabei die Zerst?rung Meglarsbrucks vorausgesehen zu haben. Wann würde das passieren? Wieso würde es passieren? Musste es denn überhaupt passieren oder k?nnte es nicht eine Warnung sein, eine Warnung vor einer M?GLICHEN Zukunft? Er hatte keine Ahnung. Bisher hatten aber seine Visionen immer eins zu eins zugetroffen! Das beunruhigte ihn sehr.