Es war wieder einmal ein sengend hei?er Sommertag, einer von vielen dieses Jahr. Wenzel schlenderte gemütlichen Schrittes das Kopfsteinpflaster entlang. Zu seiner Linken war eine B?ckerei, zu seiner Rechten eine Schneiderei. Er hatte nicht vor in eines der Gesch?fte zu gehen und nicht nur deshalb, weil er kein Taschengeld hatte. Sein Grund hier zu sein, war ein anderer. Naja, unabh?ngig davon war die erdrückende Hitze. Es war die Art von Hitze, bei der man nicht einmal mehr geradeaus denken konnte. Daher war es ratsam, m?glichst kurz drau?en zu bleiben. Auf seinem Spaziergang durch die Stadt fing Wenzel daher unbewusst an immer schneller zu werden. Im Vorbeigehen blieb sein Blick dennoch immer wieder an den verschiedenen Fachwerksh?usern entlang der Stra?e h?ngen. Solch sch?ne Architektur beeindruckte Wenzel. Sicher, diese Bauten waren nicht mit den monumentalen Riesenbauten in Meglarsbruck zu vergleichen, obwohl einige von ihnen schon einige Stockwerke an H?he schafften. Nein, diese H?user waren so ein Blickfang, da sie au?en sch?n verziert waren und jedes von ihnen einzigartig war. Es gab unterschiedlich verzierte Fassaden, eckige oder runde Fenster, verschiedene Türmchen und Giebel und auch gab es jene H?user, die ?vorkragend“ waren, also deren Fassade mit steigender H?he immer weiter über die Stra?e ragte.
Wenzel blickte so lange auf Dinge, die ihn faszinierten, dass er gar nicht mehr schaute, wo er hinging, wodurch er pl?tzlich mit einer Dame zusammenlief. ?Au! Pass doch auf, junger Mann!“ – Tut mir leid!“, entschuldigte er sich und fühlte sich dabei ein wenig geniert. Olemar war ganz anders als Meglarsbruck. Es war ja auch nur eine kleine Stadt, aber der Unterschied war eklatant. Schmale, enge Gassen, eine passable Menge an Menschen, aber keine riesigen Massen, und ein kleiner Tempel zum Beten, aber keine riesigen Repr?sentationsbauten. Haupts?chlich aber war die Verschiedenheit bei den Menschen zu sehen. Die meisten Leute trugen einfache, oft auch schon durch die Arbeit beschmutzte Kleidung. Keine edlen Kleider, unpraktischen Schuhe oder opulente Hüte waren zu sehen, sondern einfache, graue oder braune Kleidung, selten farbige, und so einige trugen ganz einfach nur Lumpen. Olemar war keine Gro?stadt, so viel war klar.
Wohin war Wenzel nun unterwegs? Er ging in eine der Gassen in der Innenstadt, direkt in ein dreist?ckiges Wohnhaus. Dieses wei?e Fachwerkhaus, bei dem die dunklen Holzbalken an der Fassade zu sehen waren, was gleichzeitig als dekoratives Element diente, wurde von einer einzelnen Person bewohnt und geh?rte dieser zur G?nze. Es war das Wohnhaus einer reichen Person. Der Bursche klopfte und trat ein. ?Guten Tag!“, grü?te er beim gleichzeitigen Schlie?en der Türe. ?Hallo, Wenzel“, kam es kurzerhand zurück. Er war offenbar willkommen. Der Junge ging durchs Vorzimmer ins Wohnzimmer, wo ein Mann an einem Tisch sa?, welcher übervoll mit Stapeln an Büchern und Papierst??en war. Das Zimmer war sch?n eingerichtet, war aber bei Weitem nicht so elit?r wie das Anwesen von Wenzel’s Eltern, oder eher Adoptiveltern. Der Mann blickte zu ihm herüber. Es war Herr Albrecht, sein Geographielehrer. ?Kommst du mich schon wieder besuchen, Wenzel? Ich meine, wir haben bald wieder Tests. Solltest du dich da nicht wieder mit dem Peter darauf vorbereiten?“ – ?Ist mir schon klar Herr Albrecht. Wenn ich die Hausübung erledigt habe, werde ich mich auch gleich wieder zum Lernen hinsetzen!“, entgegnete der Bursche und fuhr fort, ?Aber im Moment hat Peter keine Zeit und ich kann mich in meinem Zimmer immer noch nicht konzentrieren. Ich komme eh nicht st?ndig bei Ihnen vorbei, ich versprech’s.“
Warum war Wenzel jetzt hier? Nun ja, die Sache war kompliziert. Seit kurzem hatte Peter begonnen sich immer weniger mit Wenzel nach der Schule zu treffen. Dieser meinte, dass es damit zu tun habe, dass er sich ?fters auch mal mit dem M?dchen aus der Klasse unter ihnen traf, weil er sich mit ihr auch in Camenisch unterhalten konnte. Wenzel glaubte sich erinnern zu k?nnen, dass sie Sybille hie?. Wie dem auch sei, er war sich sicher, dass dies nur eine Ausrede war! Nach dem, was sein Vater ihm in Meglarsbruck gesagt hatte, war er überzeugt davon, dass von ihren Eltern jetzt Druck ausgeübt wurde, dass Peter ihn weniger sah. Allein daran zu denken, machte Wenzel wieder wütend! Nichts wollte man ihm verg?nnen, alles wollten sie ihm wegnehmen! Und das war der Grund, weshalb er jetzt begann auch jemand anderen zu treffen. Sicher, niemand durfte darüber erfahren oder Wenzel und auch sein Lehrer würden Probleme bekommen. Aber das war es ihm wert! Immerhin konnte er auf diese Weise auch mal aus dem Internat hinaus und die Stadt sehen. Er musste nur aufpassen, dass er beim Klettern über die Mauer nicht erwischt wurde. Das w?re sehr schlecht, wenn das passieren würde!
Herr Albrecht war der Einzige an der Schule, au?er Peter, der es ihm gut meinte und mit dem er zumindest über ein paar Dinge reden konnte. Seine eigentliche Ausrede, Herrn Albrecht gegenüber, war, dass er hier seine Hausübung erledigen wollte, da sein Bruder ihn beim Lernen in letzter Zeit immer st?rte, weswegen er nicht in ihrem gemeinsamen Zimmer bleiben wollte und lieber hierherkam. Einstweilen wurde ihm die Ausrede abgekauft.
?Also, gut, du kannst dich auf den Tisch da drüben setzen, okay?“, bot ihm Herr Albrecht den einzigen Tisch an, auf dem man irgendwie noch Platz hatte. ?Dankesch?n!“ Wenzel erledigte nun seine Hausübung, und zwar so schnell wie m?glich. Er hatte kein Interesse daran sich für diesen ?Saftladen“ noch viel anzustrengen. Er hatte sowieso nichts davon! Dies war nicht das Leben, das er wollte. Was er wollte, war hinaus in die Welt und Abenteuer erleben! Für Wenzel klang diese Idee wesentlich weniger kindisch als sie tats?chlich war. Als er schlie?lich mit seiner Hausübung fertig war, sah er, dass Herr Albrecht aufgestanden war und sich einen Tee machte. Er bot Wenzel auch einen an, was der Junge h?flich annahm. Dann kamen sie ein wenig ins Plaudern.
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?Und, was willst du so in deiner Zukunft machen, Wenzel?“ Der Bursche starrte ihn kurz an und wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte mal wieder keine Ausrede parat. Also sagte er einfach was er wirklich fühlte: ?Ich will mich nicht mit all den aufgeblasenen Schn?seln, die mir absolut alles vorschreiben, was ich zu tun hab, herumschlagen. Ich will hinaus in die echte Welt und Abenteuer erleben.“ Den Gesichtsausdruck, den sein Lehrer daraufhin machte konnte er nur schwer lesen. Einen kurzen Moment sp?ter antwortete der Herr:
?Mein lieber Wenzel, du wei? gar nichts von der Welt da drau?en, von der Welt, in der die meisten Bewohner Ordaniens leben! Glaub mir, du willst nicht dort hinaus!“ Wenzel hasste es st?ndig nur belehrt zu werden und konterte: ?Und warum nicht? Weil das Leben für die normalen Menschen hart ist? Das wei? ich sehr wohl! Ich bin ja nicht bl?d!“
Herr Albrecht mache einen langen Ausatmer und sagte dann: ?H?r mir gut zu, Wenzel! Du bist hier in einem wohl behüteten Refugium aufgewachsen. In diesem Land gehen sehr viele Dinge vor sich, von denen du gar nichts mitbekommst. Ein Abenteuer würde schnell zu einem Albtraum werden, glaub es mir.“
Herr Albrecht hatte absolut recht damit, dass Wenzel nichts von der Welt wusste oder gesehen hatte. Die einzigen Orte die er kannte, waren sein sicheres Elternhaus und dieses Internat gewesen. Er hatte noch kaum etwas von der Welt oder vom echten Leben mitbekommen. Doch der Lehrer hatte nun sein Interesse mit seinen Worten geweckt.
?Welche Dinge gehen denn vor sich?“, fragte der Junge. Der Herr verweigerte ihm die genauere Ausführung. Somit begann Wenzel seine ?Geheimwaffe“ einzusetzen: Jemandem auf der Pelle liegen, bis derjenige nachgibt. ?Bitte sagen Sie’s mir! Ich verrat’s auch nicht weiter!“ Es brauchte nur 10 Minuten, bis der Mann nachgab.
?Also, gut, aber du wei?t das nicht von mir, okay? …In Ordanien gibt es in letzter Zeit immer wieder Bauernaufst?nde, gr??ere und kleinere, überall im Land. Ich wei?, dir ist es nicht aufgefallen, da du hier abgeschirmt von den Zust?nden im Land bist, aber viele Leute haben wirklich keine Liebe für das jetzige Herrscherhaus.“
In dem Moment wurde Wenzel ganz still.
?Die meisten Bauern und der Gro?teil der Landbev?lkerung sind tief verwurzelt in den alten Glaubensvorstellungen der Melgaristen. Das wird sich auch nicht so schnell ?ndern. Nur in den St?dten haben die ganzen Eliten die neue alethischen Dogmen übernommen. Du wei?t, was das ist, oder?“
Wenzel nickte.
?Es gibt eine immer st?rkere Unterdrückung der Bev?lkerung unter dem Vorwand der Hexenverfolgung. Die Bauernaufst?nde in Ordanien, mit denen Viele sympathisieren werden anscheinend von melgaristischen Revisionisten angeführt. Du brauchst nicht wissen wer diese Leute sind. Es reicht zu wissen, dass sie sehr gef?hrlich sind. Die Spannung im Land ist gewaltig und sie wird immer mehr! Ich rate dir strengstens davon ab hier irgendwohin auf ein ?Abenteuer“ zu gehen. Alles was du finden wirst ist….“, er überlegte kurz, ?Ernüchterung. Also versprich mir, dass du nicht so etwas Dummes tust, okay? Du musst es mir versprechen, Wenzel!“
?Ich versprech’s“, antwortete der Bursch mit ?u?erst gedrückter Stimme.
Wenzels Tr?ume waren soeben wie Seifenblasen vor ihm zerplatzt. Was sollte er jetzt tun? Einfach nichts? Einfach dieses Leben weiterleben? Nein, er wollte so nicht weitermachen, vor allem da er wusste, dass er in dieser Schule nicht bestehen würde. Und sein einziger Freund begann sich auch langsam von ihm zu distanzieren. Der Herr Albrecht war da auch kein Ersatz, so sehr es sich der Junge auch wünschte. Weglaufen konnte er aber auch nicht. Wohin? Was tun? Wenzel hatte keine Antwort. Wenn er weglaufen würde, w?re er ein Ziel für die herrschende Klasse, deren Hass für jemanden wie ihn, den sie als einen Teufel oder D?mon bezeichnen, ihm sehr gut bekannt war. Im Religionsunterricht in der Schule war er ja sehr gut vertraut mit deren Vorstellungen von ?Gut und B?se“ geworden. Alle dies Gedanken schwirrten nun chaotisch durch seinen Kopf. Ohnehin half es nichts.
Wenzel trank noch seinen Tee aus. Als er dann aufstehen wollte, um sich zusammenzupacken und auf den Rückweg zu machen, überkam ihn pl?tzlich ein gewaltiger Schwindel. Es war ein derartiger Schub, dass der Junge nach hinten taumelte und sich an einem Bücherregal gerade noch so stützen konnte. ?Wenzel! Ist alles okay? Geht’s dir nicht gut?“, fragte der besorgte Lehrer. ?Nein, all…“, noch bevor Wenzel richtig antworten konnte, stie? es ihm gewaltsam auf. Er entledigte sich seines heutigen Frühstücks und Mittagessens auf den Holzdielen des Wohnzimmers. Herr Albrecht hatte totales Verst?ndnis dafür und brachte ihm schnell ein Tuch, um sich abzuwischen. Der Herr begann sofort die Sauerei selbst aufzuwischen, w?hrend sich Wenzel auf einen Sessel setzte, um sich zu beruhigen. ?Tut mir leid. Ich hab wohl was Schlechtes gegessen“, log Wenzel ihn an. Der Junge wusste genau, was ihn so derartig mitnahm. Er war zu weit entfernt von seiner Seele, die den ganzen Weg bis in den Wohntrakt des Internats entfernt lag. Sein K?rper hatte ganz offenbar eine explosive Reaktion darauf. Wenzel ging es wirklich übel.
Darum blieb nun nicht mehr, sondern trat wenige Minuten sp?ter schon den Heimweg an. Er verabschiedete sich und schlenderte wieder gemütlich die Pflastersteinstra?en Olemars entlang. Als er den Hauptplatz, den er in Richtung Internat überqueren musste, betrat, sah er allerdings etwas Ungew?hnliches. Ein Haufen Menschen hatten sich um etwas versammelt. Der Junge wusste nicht genau, was es war. Vor dem Amtshaus, wo sich eine gro?e Menge Leute dr?ngte, konnte er in der Ferne nur zwei hohe Holzpf?hle sehen. Er dr?ngte sich nun auch durch die Masse, um zu sehen, was denn dort war. Bevor er vorne ankommen konnte, sah er aber schon, worum es sich handelte und was hier vor sich ging. Keiner musste es ihm erkl?ren. Schlie?lich hatte ihm einst Aurel von diesen Dingen erz?hlt, um seinem kleinen Bruder Angst zu machen. Und Herr Albrecht hatte gerade eben erst davon gesprochen….