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007.1 Sturz (Teil 1)

  Wieder einmal war es ein sehr hei?er Tag. Allerdings war es heute obendrein noch teilweise recht windig. Wenzel marschierte die Stra?en Olemars entlang. Links von ihm sah er die B?ckerei, zu seiner Rechten war die Schneiderei. Wie er es mittlerweile einige Male getan hatte, zog er an den sch?nen Fachwerksh?usern vorbei durch die Innenstadt. Offenbar waren am heutigen Tag nur wenige Leute auf der Stra?e. Es k?nnte irgendein Feiertag gewesen sein, über den der Junge einfach nichts wusste. Wie dem auch sei, jedenfalls überquerte Wenzel einen der vielen kleinen Pl?tze, dieser hatte eine gro?e Eiche in seiner Mitte stehen, und zog an ein paar weiteren Gesch?ften vorbei. Dabei konnte er sich nicht davon abhalten, immer wieder stehen zu bleiben und in deren Auslagen zu blicken. Besonders h?ngen blieb er dabei an der Auslage des Sü?warengesch?fts. Diese Dinge waren etwas, was sich nur besonders Reiche leisten konnten.

  Wenzel fühlte sich absolut gro?artig. Keine Spur von Müdigkeit oder Entkr?ftung war zu sehen und zwar deshalb, weil da keine war. Und das, obwohl er so weit weg von der Schule und von seiner Seele war. Warum war dies also der Fall? Ganz einfach! Der Junge war nicht weit weg von seiner Seele. In Wirklichkeit war sie n?mlich ganz nah bei ihm, um seinen Hals, um genau zu sein! Wie kam es dazu? Wie man sich denken k?nnte, hatte Wenzel das Ding einfach von Aurel gestohlen. Damit diesem aber nicht auff?llt, dass das Amulett fehlte, hatte sein kleiner Bruder es durch einen normalen Stein, der fast die gleiche Form und Gr??e hatte, ersetzt. Da er wusste, dass derjenige, der eigentlich nur sein Adoptivbruder war, sich den Stein niemals anschaute, weil er sich davor fürchtete, konnte Wenzel ihn unbemerkt entwenden!

  Und was für einen Unterschied das für ihn machte! Der Bursche stolzierte voll Elan durch die Stra?en der Stadt, den ganzen Tag kein übles Befinden, wie es sonst immer der Fall war, gehabt habend. Er hatte überhaupt keine Angst vor dem Amulett und den ?schlechten Auswirkungen“, wie sein Bruder es immer nannte, die es angeblich auf ihn haben würde. Wenzel war nun einhundert Prozent überzeugt, dass Aurel ihn immer nur darüber angelogen hatte und, dass seine Seele nur aus dem einen Grund in diesem Gegenstand war, damit Wenzel nicht als der Hexer, der er war, hingerichtet wurde. Doch jüngste Ereignisse hatten bei ihm das Fass zum überlaufen gebracht. Daher hinterging Wenzel seinen Bruder und widersetzte sich ihm. ?Wen interessiert’s. Er ist sowieso nicht mein echter Bruder!“, ging es Wenzel durch den Kopf.

  Eigentlich war er momentan wieder auf den Weg zu Herrn Albrecht. Er hatte jetzt schon einige Tage vergehen lassen, bis er sich wieder hierher begab, um seinem Versprechen, ihn nicht st?ndig nur zu besuchen, nachzukommen. Bald schon würde er da sein. In dem Augenblick ging ihm Zweifel durch den Kopf, ob er denn seine Hausübung, welche die Ausrede war, warum er vorbeischaute, überhaupt mithatte. Er griff in seine Tasche und kramte ein wenig darin herum. Schlie?lich zog er einen Zettel heraus und hielt ihn vor sein Gesicht, um zu sehen, ob es denn auch der richtige war. Es war in der Tat, der korrekte Zettel. ?Zum Glück“, dachte sich der Bub. Als er das Ding wieder einpacken wollte, kam pl?tzlich eine starke Windb?e daher und riss ihm das Pergamentstück aus der Hand. Es segelte rasend schnell durch die Luft fort von Wenzel. Der Junge nahm ganz schnell die Verfolgung auf. Er brauchte diesen Zettel unbedingt!

  Als er sich diesem ann?herte und gerade nach ihm greifen wollte, wirbelte ein weiterer Luftsto? den Zettel hoch hinauf. Daraufhin hob Wenzel instinktiv ebenso ab und schnappte das Ding. In genau dem Moment, wo er aber seine Fü?e vom Boden abstie? und kurz mithilfe seiner Magie zum Zettel hinauflog, wurde er sich aber auch gleich bewusst, dass er soeben einen gro?en Fehler begangen hatte. In geistig h?chste Alarmstufe versetzt, lie? er sich gleich wieder auf den Boden sinken und schaute, leider recht auff?llig, um sich, ob irgendjemand gesehen hatte, was er gerade getan hatte. Es waren Leute hier, einer davon hatte ihn bestimmt gesehen! Nur sah er niemanden, der ihn anstarrte oder sich auch nur zu ihm umdrehte. Ganz schnell huschte der Bursche jetzt, um die n?chste Stra?enecke, um zu ?verschwinden“. Er wollte nicht, als Magier entlarvt werden, denn er wusste, was die Konsequenzen dessen waren. Nach einer Minute Warten schien immer noch nichts passiert zu sein. Daher schlussfolgerte Wenzel, dass er wohl glimpflich davongekommen sei.

  Er ging dann, um nicht noch verd?chtiger zu wirken, als er es ohnehin schon tat, dieselbe Gasse weiter, in die er jetzt im Eifer des Gefechts eingebogen war. Er war hier zwar noch nie gegangen, aber, wenn er einen kleinen Umweg zu Herrn Albrecht nehmen würde, w?re dies wohl auch kein Problem. Zumindest dachte er sich das. In Wirklichkeit ging er die falschen Gassen entlang, bog einmal rechts ab, dann wieder links und verlief sich schlie?lich. Letztlich d?mmerte es ihm, dass er keine Ahnung mehr hatte, wo er war. In dem Moment kam pl?tzlich ein Einheimischer und klopfte ihm von hinten auf die Schulter. Wenzel drehte sich um und sah einem mittelgro?en Mann mit schwarzen Haaren und schrecklich aussehenden Z?hnen entgegen. ?Du siehst aus, als h?ttest du dich verlaufen“, sagte er. Wenzel antwortete: ?Ja, tut mir leid. Wo genau ist nochmal die Webergasse?“ – ?Wenn ich es dir erkl?re, ist es schwieriger als, wenn ich dir einfach den Weg zeige. Es ist eh nicht weit. Komm mit, ich führ dich hin!“, bot ihm die Person an. Erleichtert darüber, dass er gleich wieder auf den richtigen Pfad zurückfinden würde, nahm Wenzel das Angebot dankend an.

  Dann streiften sie über das Kopfsteinpflaster und Wenzel’s Ziel entgegen. Der Junge wurde durch eine sehr enge, heruntergekommen Gasse geführt. Danach bogen sie links in eine noch engere, dunkle Seitengasse ab. Als sie sich in der Mitte des G?ssleins befanden, wurde sein Führer immer langsamer. V?llig ahnungslos fragte ihn der Bursche: ?Warum werden wir denn auf einmal so langsam?“ Bevor irgendeine Antwort kommen konnte, wurde er urpl?tzlich von hinten gepackt und sein Mund zugehalten! Er versuchte sich zu wehren, doch war leider zu schwach, um sich irgendwie losrei?en zu k?nnen. Bevor die Panik so richtig bei Wenzel einsetzen konnte, spürte er wie ihn eine Müdigkeit überkam. Dann verlor er das Bewusstsein.

  Wenzel stand bei sich zu Hause in seinem und Aurels Zimmer. Die Balkontüren waren offen und durch diese schien die Sonne schon beinah senkrecht herein. Das bedeutete, dass es Abend wurde. Er hielt sich die Hand vors Gesicht, um sich davor zu schützen, geblendet zu werden. Dann nahm er einen Schritt nach dem anderen in Richtung des Balkons. Aus irgendeinem Grund wollte er dort hinunterblicken…………..Die Vision endete.

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  Der Teenager kam langsam wieder zu sich. Als er seine Augen ?ffnete, sah er die W?nde eines Steinkellers vor sich. Kopf und Schultern schmerzten ihn leicht. In dem Moment wurde ihm wieder gegenw?rtig was passiert war. ?Mist! Ich wusste, dass man mich schweben gesehen hatte!“, ging es ihm durch den Kopf. Der Junge brauchte kurz, um sich zu vergegenw?rtigen, dass er entführt worden war. Das war eine extrem gef?hrliche Situation! Sein Puls begann in die H?he zu schie?en. Wenzel sa? auf einem Stuhl inmitten eines Kellers. Ruckartig riss er seine H?nde nach vorne, nur, um überrascht festzustellen, dass diese nicht gefesselt waren, sondern einfach seitlich heruntergehangen waren. Er stand vom Sessel auf, drehte sich um und sah, dass sehr wohl Seile, die man benützen würde, um jemanden zu fesseln, auf dem Boden dahinter lagen. Was ging hier vor sich?

  Aus dem nebenan liegenden Kellerraum kam pl?tzlich ein Mann herein. Es war derselbe, der ihm vermeintlich helfen wollte, den Weg in die Webergasse zu finden. Der Junge blieb in einer Schockstarre stehen. Was allerdings fast noch schockierender war, war das, was als n?chstes passieren würde. Der Mann viel vor ihm auf die Knie und sprach in einem leicht winselnden Ton: ?Vergeben Sie mir, bitte! Ich wusste nicht, wer Sie sind! Ich hatte auch nicht vor Ihnen irgendetwas übles anzutun, ich schw?re! Alles, was ich wollte, war mich vergewissern, dass ich mich auch nicht in dem get?uscht hatte, was ich Sie tun gesehen habe in der Stadt.“ Wenzel war sprachlos. Was war hier los? Er stand nun eine Weile mit blankem Ausdruck im Gesicht einfach nur herum. Ganz offensichtlich hatte es diese Person nicht b?se mit ihm gemeint, aber das war noch lange kein Grund ihn zu entführen! Au?erdem hatte der junge Bursche null Ahnung, warum dieser sich dann jetzt dafür entschuldigte.

  Wenzel adressierte den Mann: ?Ich…?hm….kann dir nicht ganz folgen. Warum hast du mich entführt, nur um mich jetzt einfach wieder freizulassen?“

  Der Mann mit schiefen Z?hnen und schmutzigen Kleidern antwortete: ?Weil ich nicht wusste, wer ihr seid. Vergebt mir, bitte, mein Herr! Die M?rtyrerbrigaden sind die Verbündeten und Beschützer des Erkorenen, nicht seine Feinde!“

  ?Erkorener?“ Da fiel es Wenzel pl?tzlich wie Schuppen von den Augen. Diese Leute waren Melgaristen! Er hatte noch nie welche pers?nlich getroffen. So viel er sich erinnern konnte, glaubten diese Menschen daran, dass der erste Kaiser vom Ordanischen Reich sowas wie ein Messias war, oder so ?hnlich. Wenzel überlegte kurz. Das bedeutete wohl, dass dieser Mann ihn als so jemanden bezeichnete. Was ging hier ab? Er war zwar ein Magier, aber warum sollte jemand glauben, dass gerade er, auf so eine Rolle zutrifft? Wenzel war verwirrt.

  Er sprach folglich: ?Ich wei? zwar immer noch nicht, was du von mir wolltest, aber solange du mich wieder gehen l?sst, ist alles okay……denke ich mal.“ Der Mann nickte ihm best?tigend zu. Wenzel fuhr fort: ?Und, bitte lass das mit dem Erkorenen-Gerede, ich bin nur ein unwichtiger niemand. Eigentlich wei? ich überhaupt nicht, wie du auf so etwas kommst.“

  In dem Moment war sein Entführer von Entrüstung und Verwirrung gezeichnet. Immer noch am Boden kniend entgegnete er: ?Es gibt nur einen, der von Gott gesegnet ist und das seid eindeutig ihr! Wie k?nnt ihr das überhaupt infrage stellen?“ Bevor Wenzel eine Antwort geben konnte, kam ein anderer Herr die Kellerstiege herunter. Er trug Wenzels Amulett in den H?nden. Der andere ging zu ihm hinüber und schnappte es ihm sofort weg. Dann trug er es zu Wenzel herüber und sprach: ?Hier! Wenn Eure Kr?fte Euch nicht überzeugen, dann sollte es sp?testens mit dem hier klar sein, dass er der Erkorene seid!“ Er hielt ihm den Stein unter die Nase, dabei auf die Einfassung mit seinem Finger zeigend. Er verwies ihn auf die eingravierten Buchstaben. Wenzel blickte ihn skeptisch an und entgegnete:

  ?Was soll an M.R. so besonders sein?“ Die beiden anderen schauten sich gegenseitig an. Dann wandten sich an Wenzel und sagten: ?M.R. steht für Melgarus Rex. In Ordanisch hei?t das K?nig Melgar.“ Das war allerdings eine überraschung für Wenzel. Er starrte sie nur an, ahnungslos darüber, was er sagen sollte. Wieso war seine Seele im Amulett von Melgar? War es vielleicht nur eine F?lschung? In dem Fall aber, müsste man die Frage stellen, warum jemand eine F?lschung von einem Objekt des ?Hexerkaisers“ machen sollte. Wenzel war hoffnungslos überfordert. Er hatte keine Antworten auf diese Fragen und mit den zwei Fremden vor sich, wollte er sich garantiert auch nicht besprechen. Dann richteten sich die beiden nochmals mit einer Bitte an ihn:?Bitte schlie?en Sie sich den M?rtyrerbrigaden an! Wir sind das Schwert Melgars!“

  Der Junge hatte keine Ahnung wie er mit sowas umgehen sollte. Diese Behandlung war ihm v?llig fremd. Ehrlich gesagt, machte sie ihn überaus verlegen und er fühlte sich dadurch unwohl. Er war immer als minderwertig behandelt worden und genauso sah er sich selbst auch. Für ihn war diese Art des Umgangs mit ihm eine 180-Grad-Wendung. Au?erdem war er nicht Melgar! Er war Wenzel und niemand anderes. Folglich versuchte er so h?flich wie m?glich das Angebot der beiden abzulehnen. Er war sich jetzt sicher, dass diese es ihm nicht übel meinten, aber er hatte nicht vor sich in die Gesellschaft von Fanatikern zu begeben. Nichts Gutes konnte jemals davon kommen!

  Die beiden waren sehr entt?uscht, als er ihnen seine Absage mitteilte und das, obwohl er es gar nicht wie eine Absage formulierte. ?Das kommt mir jetzt alles ein wenig zu schnell. Lasst mich noch ein paar Tage überlegen und dann gebe ich euch meine Antwort, okay?“ So hatte er es vorsichtigerweise formuliert. Sie schienen ihm abzukaufen, dass er wieder zurückkommen würde, um sie über seine Entscheidung zu informieren. Um wieder hineinzuk?nnen, wurde ihm auch das Passwort verraten. Dann geleitete man ihn wieder ins Erdgeschoss und zur Tür hinaus. Als er die Stiegen hochkam, sah er eine rote Fahne mit einer ausgestreckten Faust darauf, auf der Wand h?ngen. Der Bursche verabschiedete sich, als ob gar nicht besonderes passiert w?re und ging seines Weges.

  Au?er Reichweite atmete er dann vor Erleichterung aus. Er hatte wirklich Angst gehabt. Auf dem Rückweg ins Internat ging ihm dann alles M?gliche durch den Sch?del. Er hasste es an dieser Schule und er hasste sein Leben und seine Familie. Hier hatten ihm ein paar Leute tats?chlich einen Ausweg aus dem angeboten. Und diese Leute waren wortw?rtlich ?Verehrer“ von ihm, also warum ergriff er die M?glichkeit nicht? Einfach gesagt, Wenzel war ein Feigling. Er traute sich nicht einen solch gewaltigen Schritt von sich aus zu wagen. Die Tatsache, dass er von Religion und damit auch von religi?sem Fanatismus nichts anfing, war natürlich ein Mitgrund, aber selbst sich mit so etwas herumschlagen zu müssen, w?re für ihn noch das geringere übel, verglichen mit seinem tristen Alltag, in dem jeder ihm nur st?ndig sagte, was er zu tun hatte und ihn immer nur niedermachte. Doch es half nichts. Wenzel war die Memme, die sein Bruder ihm immer sagte, dass er war.

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