Zwei Tage vergingen. Unser Protagonist sa? gerade im Klassenzimmer. Sie hatten Schreibunterricht und er musste eine Er?rterung verfassen. Viel lieber w?re er ganz wo anders in diesem Moment gewesen. Wenzel blickte aus dem Fenster über die von der Sommerhitze ausgetrocknete Wiese im Park drau?en. Pl?tzlich machte es einen Knall vor ihm und der Bursche schreckte auf. Es war sein Lehrer gewesen, der mit einer Mappe auf seinen Tisch geschlagen hatte, um den Jungen zu erinnern, dass er arbeiten solle, anstatt aus dem Fenster zu blicken. Widerwillig machte Wenzel somit weiter.
Direkt nach dem Unterricht, bat ihn dann Peter noch kurz zu warten. Er wollte etwas mit Wenzel besprechen. Der Junge konnte schon erahnen, was ihm sein Freund sagen wollte.
?Du, Wenzel, ich muss dir was sagen, bin mir aber nicht ganz sicher wie. Also, meine Eltern haben mir gesagt, dass …naja…., dass du ein schlechter Umgang für mich w?rst. Ich wei? nicht wieso. Sie kennen dich n?mlich gar nicht. Das hab ich ihnen auch versucht zu erkl?ren, n?mlich, dass du vollkommen okay bist, aber sie haben mir nicht zugeh?rt.“ Besorgt schaute er Wenzel an. Dieser erwiderte den Blick nicht gerade ?superhappy“, aber auch nicht wütend. Das hatte der Junge ohnehin schon hinter Peters zunehmender Distanz zu ihm vermutet. ?Ich bin mir sicher, dass es mit den dummen Gerüchten über dich zu tun hat. Naja, die ?Gerüchte“, du wei?t ja. Drum hab ich dich in letzter Zeit auch weniger nach der Schule gesehen. Aber das hei?t nicht, dass ich nicht mehr dein Freund sein will! Ich werde immer dein Freund sein! Und dein Geheimnis ist auch bei mir sicher, glaub mir. Nur, du wei?t ja, meine Eltern. Dass ich dich weniger sehe, ist ihnen nicht genug.“
?Ich verstehe schon, Peter“, entgegnete da Wenzel. ?Meine Eltern sind genauso. Eigentlich…“, Wenzel z?gerte kurz und fuhr dann fort, ?eigentlich bin ich mir sicher, dass das alles von meinen Eltern ausgeht.“ – ?Wirklich?“ – ?Ja, hundertprozentig.“ In dem Moment überlegte Peter kurz und brachte dann folgendem Vorschlag: ?Wie w?re das, ich verspreche dein Freund zu bleiben und du versprichst mir dasselbe. Wenn wir dann erwachsen sind, wenn unsere Eltern uns nichts mehr sagen k?nnen, dann treffen wir uns wieder und haben wieder Spa? miteinander, okay?“ Der Freund hielt ihm seine Hand hin. Wenzel war das erste Mal, dass er sich erinnern konnte, in seinem Leben gerührt. Er schlug ihm ein. Die zwei Jungen schüttelten sich die Hand und schauten ihrem Gegenüber dabei überzeugt in die Augen. Beide meinten es ernst. Dann gingen sie die zwei nach Hause.
Aber um genau zu sein, ging nur Peter nach Hause. Wenzel hatte vor, wieder aus dem Internat zu schleichen. Er musste nur warten, bis alle Leute weg waren und ihn keiner mehr beim überwinden der Mauer sah. Sein Amulett hatte er schon seit heute Morgen wieder bei sich. Der Bursche ging deshalb ein wenig im Park spazieren und verharrte einige Minuten hinter dem Ger?teschuppen des G?rtners, bis er schlie?lich niemanden mehr in der N?he sah. Dann kletterte er schnell über die Efeuranken der Schulmauer. Er würde sicher nicht drüberfliegen. Was vor zwei Tagen passiert war, war ihm definitiv eine Lehre gewesen. Er sprang schnell auf der anderen Seite hinunter und begann Richtung Stadt zu schlendern. Er spazierte den üblichen Weg entlang. Neben ihm erstreckten sich die, von der enormen Sommerhitze verdorrten, Felder. Das Internat lag auf einem kleinen Hügel etwas au?erhalb Olemars. Von hier aus überblickte der Junge riesige Felder, wie sie in diesem Teil Ordaniens üblich waren. Ordanien war ja schlie?lich auch die Kornkammer des Bundes. Gemütlich ging er hinunter in die Stadt und durch die Stra?en und Gassen.
?Moment!“, sprach der Junge im Selbstgespr?ch. ?Hab ich auch alles?“ Wenzel kramte durch seine Tasche und…oh, nein! Er hatte sein Buch für den Ordanischunterricht zu Hause liegen lassen. ?Warum kann ich nicht einmal nachdenken, bei dem was ich tue?“, ?rgerte er sich. Das Gespr?ch mit Peter hatte ihn allerdings heute auch etwas aus dem Konzept gebracht. Entnervt atmete er aus, denn er wusste, dass nochmal über die Mauer zu klettern seine Chance entdeckt zu werden deutlich erh?hte. Es ging zurück den kleinen Feldweg an der Rückseite des Areals hinauf, über die Mauer und in den Park der Schule. Wenzel ging über die sch?n angelegten Wege inmitten von braunem Gras hinüber, wo sein Schlafsaal war. Er erklomm die Stiegen bis in den dritten Stock, wo er und Aurel ihr Zimmer hatten. Seinen Schlüssel aus der Hosentasche fischend n?herte er sich der Zimmertüre an. Normalerweise war zwar nicht abgesperrt, aber manchmal hatte Aurel noch Nachmittagsunterricht oder war aus irgendeinem anderen Grund gerade nicht da, weswegen dann doch manchmal die Türe zugesperrt war.
Als Wenzel den Schlüssel ansetzen wollte, h?rte er allerdings etwas Seltsames aus seinem Zimmer. Er konnte es nicht genau einordnen, was es war. Aurel war damit aber erwiesenerma?en zu Hause. Der jüngere Bruder drückte die Klinke nach unten und trat einfach ein. Was er nun sehen sollte, war aber alles andere als erwartet. Als Wenzel die Türe hineinging und sie hinter sich schloss, wurde er anfangs von der Sonne geblendet. Diese schien momentan fast schon waagerecht durch die offenstehenden Balkontüren herein. Der Junge hielt sich die Hand vor die Augen. Dann sah er nach links hinüber zu Aurels Schreibtisch, neben dem sein Bett stand. Immer noch halb blind von den grellen Sonnenstahlen, konnte er ausmachen, dass Aurels Bettdecke aufgewühlt war. Das war überaus ungew?hnlich für Aurel, sich um diese Tageszeit schlafen zu legen. Er machte zwei Schritte hinüber und fragte: ?Hey, was ist los?“
Support the author by searching for the original publication of this novel.
Das war der Moment, in das Donnerwetter seinen Anfang nahm. Der ?ltere Bruder sprang abrupt aus dem Bett auf. Erst jetzt hatten sich Wenzels Augen wieder von der überbelichtung erholt, wodurch er schlie?lich sah, dass noch eine zweite Person sich in dem Bett befand. Voll Scham versteckte sich diese hinter der Decke. An ihrem brünetten Haar konnte man aber erkennen, wer sie war: Amalie!
?Was zum Teufel machst du hier?“, fragte ihn Aurel mit wütendem, aber nicht allzu lautem Ton, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Einen kurzen Moment in Schockstarre, antwortete das jüngere der beiden Geschwister nicht sofort. Dann entgegnete er seinem Bruder aber mit fast derselben Phrase, die er auch benutzt hatte: ?Was zum Teufel ist hier los?!“ Er wusste natürlich die Antwort auf seine halb rhetorische Frage. Aurel sagte dann, diesmal lauter werdend und absolut au?er Fassung: ?Hast du dich nicht wieder aus der Schule geschlichen? Warum bist du hier?“ Daraufhin nahmen die Gefühle bei Wenzel überhand und er warf seinem Adoptivbruder eine Reihe an Schimpfw?rtern an den Kopf. Keiner der beiden übte irgendeine Art von rationaler Kommunikation mehr aus, beide waren nur noch rein emotional handelnd.
Aurel stie? seinen Bruder gewaltsam in eine Ecke und warf ihm ebenso unangebrachte Worte an den Kopf. Im Inneren Wenzels kochte es nun hoch. Sein ganzer K?rper spannte sich vor Wut and allen m?glichen anderen Gefühlen, die in ihm nun herumschwirrten, an. Amalie schaute bei all dem nur still zu. Der Junge blickte auf sein ?lteres Geschwister und war bereit all seine Frustration an ihm auszulassen. Die Tatsache, dass er wahrscheinlich von ihm verprügelt werden würde, ging durch all die überkochende Stimmung in seinen Gedanken unter. Da passierte es. Ein gewaltiger Schub an Kraft kam aus Wenzels Innerem hoch. Diese staute sich immer mehr auf und der Junge hatte keine Ahnung was vor sich ging, nur dass diese Energie irgendeinen Weg aus ihm hinaus suchte. Der vor den Balkontüren stehende Aurel schaute seinen kleinen Bruder finster an. Dann verlor Wenzel die Kontrolle. Die magische Kraft fuhr aus seiner Hand aus und erzeugte eine Druckwelle. Aurel wurde von dieser nach hinten katapultiert, gegen die Reling des Balkons, überwand diese durch den Schwung, den er hatte, und stürzte hinunter!
In dem Augenblick erinnerte sich Wenzel an die Vision, die er vor zwei Tagen hatte. Er hatte diesen Moment auf gewisse Weise vorhergesehen. Nach einer Sekunde des Z?gerns rannte Wenzel zur Brüstung des Balkons und blickte hinunter. Dort lag Aurel auf dem gepflasterten Vorplatz. Um seinen Kopf herum begann sich eine rote Lacke zu formen! Jetzt z?gerte Wenzel nicht mehr und sprang sofort den Balkon hinunter. Mit seiner Magie bremste er den Fall aus dem dritten Stock und setzte sich sanft auf dem Boden ab. Er eilte zu Aurel. Die Blutlacke um diesen wurde immer gr??er. ?Aurel! Wach auf! Hey!“, brüllte der Bursche, aber vergeblich. Sein gro?er Bruder rührte sich nicht mehr. Er war tot.
Wenzel drehte sich zum Geb?ude um und sah, dass die ersten Leute an ihre Fenster kamen und schauten, was denn passiert war. Auch Amalie blickte verhalten und eindeutig bestürzt vom kleinen Balkon herab. Die anderen Leute konnte der Junge sehen, doch was Wenzel nicht sehen konnte, war, dass seine Augen in einem bl?ulichen Licht leuchteten. So vieles ging jetzt durch seinen Kopf, er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er hatte seinen Bruder ermordet! Das hatte er nicht gewollt. Er hasste zwar seinen Bruder, doch so etwas h?tte er niemals getan. Es war nur ein Unfall gewesen. Wenzel wusste allerdings, dass ihm das niemand glauben würde. Dann schoss es ihm endlich ein! Es würde nun auffliegen, dass er ein Magier, ein Hexer war und, dass er seinen Bruder get?tet hatte!
In dem Moment schossen die Bilder der Hexenverbrennung, die er in Olemar gesehen hatte durch seinen Kopf. Alle hier hassten Magier und überall wurde nur herumverbreitet, wie diabolisch und gef?hrlich diese seien. Er hatte ihnen jetzt nur eine Best?tigung dessen gegeben, was sie ohnehin schon glaubten. Sie würden ihn auch verbrennen, Wenzel war sich sicher. Nein! Das konnte er nicht zulassen! Die ersten Leute begannen jetzt zu rufen und um Hilfe zu schreien. Für Wenzel hatte es dreizehn geschlagen. Da h?rte er pl?tzlich eine ?therische Stimme in seinen Gedanken: ?Die Zeit ist reif.“ Er hielt einen Moment inne, dann richtet sich Wenzel auf und sprach: ?In der Tat.“ Der Junge hob ab und flog über die Mauer hinaus, weg aus dem Internat. Er würde nie mehr zurückkehren.
Das Passwort lautete: ?Dackelbracke“